Henry George, der Vater der Bodenreform – Hans Traugott Strung

Der Ameri­ka­ner Henry George (02. 09. 1839 — 29. 10. 1897) wurde zum Banner­trä­ger der klas­si­schen Boden­re­form in aller Welt. Er stamm­te aus dem Arbei­ter­stan­de und war, gleich dem ihm gesin­nungs­ver­wand­ten Refor­mer Proudhon, Schrift­set­zer von Beruf. Als Vier­zig­jäh­ri­ger schuf George das Werk, das die Welt wie ein Fanal wach­rüt­tel­te und mit dem er die Schick­sals­ent­schei­dung über Aufstieg oder Unter­gang in die Hände der Schaf­fen­den legen wollte: „Fort­schritt und Armut“: Tief durch­pflüg­te der Meis­ter in selb­stän­di­ger Denk­ar­beit die Geset­ze des Erdbo­dens, immer mit dem Leit­stern vor Augen:

„Das Gebiet des Geset­zes ist nicht auf die physi­sche Natur beschränkt. Es umfasst ebenso gewiss die geis­ti­ge und sitt­li­che Welt, und die sozia­le Entwick­lung und das sozia­le Leben haben ihre ebenso bestimm­ten Geset­ze wie der Stoff und die Bewe­gung. Wollen wir das sozia­le Leben gesund und glück­lich machen, so müssen wir diese Geset­ze entde­cken und unsere Ziele in Über­ein­stim­mung mit densel­ben suchen.“

Geor­ges umfas­sen­de sozi­al­wis­sen­schaft­li­che Unter­su­chung der Ursa­chen der wirt­schaft­li­chen Not und die Aufzei­gung der Mittel zu ihrer Besei­ti­gung machte den stil­len Denker welt­be­rühmt. Mit einem Schla­ge erkann­ten reiche und arme, gebil­de­te und einfa­che Menschen, was nottut, wenn das Völker­le­ben zur sinn­vol­len Harmo­nie kommen soll: Ein neues, ausbeu­tungs­frei­es Boden­recht. In hinrei­ßen­der Spra­che und uner­schüt­ter­li­chem Glau­ben an das Gute und Wahre abge­fasst, ist das Werk auch heute in seinen Kern­ge­dan­ken nicht veral­tet und bringt den Lesern reichen Gewinn. Zuerst fand sich kein Verle­ger, aber als die Schwie­rig­keit über­wun­den war, jagten sich die Aufla­gen. Das Buch wurde binnen kurzer Zeit in sämt­li­che Kultur­spra­chen über­setzt und fand auf dem Erdball eine Verbrei­tung, wie sie nächst der Bibel noch kein Buch gefun­den hatte.

George widme­te fortan sein Leben mit ganzer Kraft der Ausbrei­tung seiner Lehre in allen Erdtei­len. Er verzehr­te sich, von Land zu Land ziehend, in den Letz­ten 18 Jahren seines Lebens im Diens­te des Fort­schritts und Wohl­erge­hens der Mensch­heit. Bald bilde­ten sich in allen Staa­ten Euro­pas, beson­ders aber in den Verei­nig­ten Staa­ten von Ameri­ka und in Austra­li­en macht­vol­le Verei­ni­gun­gen und Gesell­schaf­ten, die die Boden­ge­rech­tig­keit verfoch­ten, ja teil­wei­se auch zur prak­ti­schen Durch­füh­rung schritten.

Es war Henry George vergönnt, im Diens­te an seinem Werke zu ster­ben. „Und wenn es mein Leben kostet!“ hatte er geant­wor­tet, als der Arzt ihm größte Scho­nung anriet. Auf vier Volks­ver­samm­lun­gen in New York sprach er am Letz­ten Tage seines Lebens und besie­gel­te in der darauf folgen­den Nacht sein rast­lo­ses Kämp­fen für Gerech­tig­keit und Frie­den mit dem Tode. Das Begräb­nis in New York wurde zu einer macht­vol­len Kund­ge­bung der ihres Anwalts beraub­ten Volks­mas­sen. 30.000 Menschen zogen an seinem Sarge vorüber, Hundert­tau­sen­de säum­ten die Stra­ßen bei seiner letz­ten Fahrt. Papst Leo Xlll. hatte seine Lehre schon zu Lebzei­ten prüfen lassen und gebil­ligt. Jetzt sprach ein Geist­li­cher an seinem Grabe das Wort: „Dieser Mann ward uns von Gott gesandt.“

Und wie stehen wir heute zu dem gewal­ti­gen Bahn­bre­cher des sozia­len Fort­schritts? Wie vielen Leben­den ist sein Name noch ein Symbol für den Frie­den auf dem Erdbo­den? Haben Geor­ges Forde­run­gen auch unse­rer Zeit noch etwas zu sagen? — Der Kämp­fer für eine sozia­le Boden­ord­nung ist fast verges­sen, sein Name den weites­ten Krei­sen unbe­kannt. Seine Lehren sind dort, wo sie noch im Munde geführt werden, zum unfrucht­ba­ren Dogma erstarrt. In die Stille zurück­ge­zo­gen haben sich die Boden­re­form­ge­sell­schaf­ten, kaum ein Zeit­ge­nos­se ist sich noch bewusst, dass die Boden­fra­ge die Schick­sals­fra­ge für die Menschen ist. Hilf­los und macht­los stehen die Boden­re­for­mer der George-Schule
den Proble­men der Zeit gegen­über, der Glaube an ihre hohe Welt­sen­dung, den der Meis­ter hatte, liegt unter den Trüm­mern zweier Welt­krie­ge begra­ben. Das gewal­ti­ge Echo, das Geor­ges Lehre auch in Deutsch­land geweckt hatte, war nicht imstan­de gewe­sen, den kata­stro­pha­len Sturz in die Barba­rei aufzu­hal­ten, den George sehe­risch als Folge des unge­re­gel­ten Boden­rechts vor mehr als einem Drei­vier­tel­jahr­hun­dert voraus­ge­sagt hat:
„Ist es gerecht, dass die Gaben des Schöp­fers unge­straft in Beschlag genom­men werden dürfen? Man wende sich zur Geschich­te, und auf jeder Seite kann man die Lehre lesen, dass solches Unrecht nicht unge­straft bleibt, dass die Neme­sis, die der Unge­rech­tig­keit folgt, niemals ausbleibt oder schläft! Man blicke um sich. Kann dieser Zustand der Dinge so fort­ge­hen? Nein, die Pfei­ler des Staa­tes zittern schon, und die Grund­la­gen der Gesell­schaft selbst fangen an, von den darun­ter einge­schlos­se­nen glühen­den Kräf­ten zu beben. Der Kampf, der entwe­der neues Leben brin­gen oder alles in Trüm­mer werfen muss, ist nahe, wenn er nicht schon begon­nen hat!

Das Gebot ist erlas­sen! Mit dem Dampf und der Elek­tri­zi­tät und den vom Fort­schritt gezeug­ten Mäch­ten haben Kräfte die Welt betre­ten, die uns entwe­der auf eine höhere Stufe trei­ben oder über­wäl­ti­gen werden, wie vordem ein Volk nach dem ande­ren , eine Zivi­li­sa­ti­on nach der ande­ren über­wäl­tigt worden sind.… Wir können nicht auf die Dauer von den unver­äu­ßer­li­chen Menschen­rech­ten schwat­zen und zugleich das unver­äu­ßer­li­che Recht auf die Gaben des Schöp­fers verwei­gern. Schon jetzt sammeln sich die Elemen­tar­kräf­te zum Kampf!“

George kam der Wahr­heit des gesell­schaft­li­chen Boden­pro­blems näher als ein Mensch vor ihm. Sein Programm war von genia­ler Einfach­heit: die Wegsteue­rung der Grund­ren­te und ihre Verwen­dung zuguns­ten der Allge­mein­heit. Es ist sein unsterb­li­ches Verdienst, dass er dieses Ziel uner­müd­lich den Menschen vor Augen stell­te, und die erkann­te Wahr­heit zum lücken­lo­sen System ausbaute.

Den Boden zum Gemein­gut machen, war die Parole Geor­ges. Das Mittel dazu war ihm die Besteue­rung der Grund­ren­te. In der Über­füh­rung des Rechts­ti­tels der Grund­ren­te vom Boden­ei­gen­tü­mer auf die Allge­mein­heit erblick­te er die Garan­tie für eine allsei­tig harmo­ni­sche Entwick­lung der Boden­ver­hält­nis­se auf Erden. 

„Wir können ohne Miss­ton oder Anstoß das gemein­schaft­li­che Recht auf den Grund und Boden an uns nehmen, indem wir die Rente für öffent­li­che Zwecke einzie­hen.… Auf diese Weise kann der Staat der allge­mei­ne Grund­herr werden, ohne sich so zu nennen. Der Form nach wurde der Grund­be­sitz genau­so wie jetzt blei­ben. Kein Eigen­tü­mer braucht im Umfang des statt­haf­ten Besit­zes beschränkt zu werden. Denn da die Rente vom Staate in Steu­ern genom­men wird, so würde Land, gleich­viel auf wessen Namen es steht oder in welchen Parzel­len es gehal­ten wird, faktisch Gemein­gut sein.“

Mit siche­rem Blick hatte George erfasst, dass die Erhal­tung des Privat­ei­gen­tums am Boden für unsere Kultur­stu­fe uner­läss­lich ist und eine Über­füh­rung des Grund­be­sit­zes in die Hand der Allge­mein­heit ebenso unnö­tig wie sinn­los und schäd­lich ist:
„Um die Rente zum gemei­nen Nutzen zu erhe­ben, ist es nicht notwen­dig, dass der Staat tatsach­lich das Land in Besitz nimmt und es von Jahr zu Jahr oder von Termin zu Termin verpach­tet… Dies Verfah­ren würde gegen die jetzi­gen Sitten und Denk­ge­wohn­hei­ten nutz­los versto­ßen und nutz­los die Verwal­tungs­ma­schi­ne ausdeh­nen. […] Ich schla­ge weder vor, den Privat­be­sitz an Grund und Boden zu kaufen noch ihn zu konfis­zie­ren. Das erste­re würde unge­recht, das letz­te­re nutz­los sein. Mögen die Indi­vi­du­en, welche jetzt Land besit­zen, im Besitz dessen blei­ben, was sie ihr Land zu nennen belieben…“

Die klare Absage des großen Sozi­al­den­kers an einen Umsturz der bestehen­den Boden­ei­gen­tums­ver­hält­nis­se gab seinen Vorschlä­gen festen Rück­halt. Es bleibt sein Verdienst, dass er vor einer Sozia­li­sie­rung des Boden­be­sit­zes warnte und die Grund­la­ge der freien Persön­lich­keit wie der freien Wirt­schaft, das Privat­ei­gen­tum, nicht antas­te­te. Diesem Fern­hal­ten von revo­lu­tio­nä­ren Ideen ist es zu danken, dass sich die Lehre Geor­ges wie ein Sturm­wind in der Welt ausbrei­te­te und von allen Menschen in ihren Grund­zü­gen auch heute akzep­tiert werden kann.

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