Geschunkelter Unmut

Die Grenzen der närrischen Meinungsfreiheit scheinen unerschöpflich.

Da gibt es die nackte Kanz­le­rin oder den mit der Mafia kopu­lie­ren­den Berlus­co­ni. Die Besu­cher der Umzüge rufen fröh­lich in die Mikro­fo­ne der Repor­ter, wie klasse es sei, dass man hier die nackte Wahr­heit über die Poli­tik präsen­tie­ren dürfe. „Die Poli­ti­ker müssen einfach die Wahr­heit aushal­ten können, sich gefäl­ligst am Riemen reißen und es demnächst besser machen“, so der Tenor vieler Aussa­gen am Rande der Stra­ßen in den närri­schen Hochburgen.

Köln; Rosenmontagsumzug 2009: Mottowagen für Fr. Merkel
Motto­wa­gen für Fr. Merkel

Eine Milli­on Menschen säumen in Köln und nahezu die glei­che Zahl in Düssel­dorf die Stra­ßen in eisi­ger Winter­käl­te. Auf der Suche nach Spaß und Abwechs­lung gelten äußere Umstän­de nicht als Hinde­rungs­grund. Wie sehr würde man sich das wünschen, wenn es um die „echten“ poli­ti­schen Anlie­gen ginge, die ja eigent­lich schon in den Motto­wa­gen der Narren genannt werden. Würden die Menschen den Wagen auch folgen, wenn der Weg auf die Regie­rungs­ge­bäu­de zugin­ge und echte Forde­run­gen zum Ausdruck gebracht werden würden?

Die Karne­vals­um­zü­ge trans­por­tie­ren in ihren realen Veran­schau­li­chun­gen der poli­ti­schen Fehler das Alibi für die Untä­tig­keit der Zuschau­er ‑im Hinblick auf das „reale“ Enga­ge­ment – gleich mit. Wir über­brin­gen die Meinung des Volkes im närri­schen Kostüm unse­ren Herr­schern. Diese Herr­scher können sich eigent­lich nichts sehn­li­cher wünschen, als eine große Zahl derlei närri­scher Umzüge. Das Volk findet sein Ventil für den aufge­stau­ten Unmut und bleibt dennoch fröh­lich und ruhig.

Außer­halb der närri­schen Zeiten schlüp­fen verstärkt die poli­ti­schen Kaba­ret­tis­ten in die Rolle der Orga­ni­sa­to­ren des zu venti­lie­ren­den Bürger­un­mu­tes. Man ist zuwei­len verzückt und glei­cher­ma­ßen verwirrt über die Klar­heit, mit der manche höchst intel­li­gen­te Könner der Zunft des poli­ti­schen Kaba­retts die Fakten tref­fend analy­sie­ren und kommen­tie­ren. Selbst wenn das Gehör­te einem vor Schre­cken über dessen Wahr­heits­ge­halt den Mund offen stehen lässt, empfin­det man beim Zuhö­ren und Zuse­hen ein wohli­ges Gefühl geschütz­ter Unter­hal­tung. Es ist wie die Schär­fe der Chili­scho­te, die auf das Süße der Scho­ko­la­de trifft. Ein befrie­di­gen­des und zugleich sinn­li­ches Erleb­nis. Mit vorher­seh­ba­ren Neben­wir­kun­gen. Sorgenfrei.

Da sitzt ein ansehn­li­cher junger Mann im piek­fei­nen Anzug mit gepfleg­tem langem Haar zum Zopf gebun­den am hoch­glanz­po­lier­ten schwar­zen Flügel wie Anto­nio Bande­ras auf dem nack­ten Rücken eines Pfer­des und spricht ruhig, mit gelas­sen ausge­spro­che­nen Worten, seine zutiefst empfun­de­ne Abnei­gung über das Handeln poli­ti­scher Entschei­der – aber auch über die deka­den­ten Konsu­men­ten dieser Poli­tik – aus, als schmis­se er gelang­weilt schmut­zi­ge Wäsche in einen Korb. Und die Zuschau­er empfin­den mit ihm, fühlen sich bestä­tigt und danken ihm mit einem donnern­den Applaus dafür, dass er ihre Rolle einnimmt und „denen da oben“ in ihrem Namen einmal so rich­tig die Meinung „klaviert“.

Oder jene rhein­län­di­sche Froh­na­tur, die wie kein ande­rer, bedroh­li­che Sach­ver­hal­te auf gedank­li­che Spit­zen, und den Zuschau­ern die Tränen vor Lachen in die Augen treibt. Man wünscht sich solche Leute in den Bundes­tag und würde sie für ihre glän­zend vorge­tra­ge­ne Analy­se in der Hoff­nung wählen, dass sie es besser als die tatsäch­lich Verant­wort­li­chen machen würden. Doch sie stehen nicht zur Wahl. Viel­mehr sind sie auser­wählt. Auser­wählt uns die Fehler der Poli­tik  darzu­rei­chen. Die „Mahl­zeit“ wird dadurch nicht schmack­haf­ter, doch erken­nen wir, dass wir auf der Suche nach Nahrung zwar schel­ten, aber nicht wähle­risch sein können.

Es ist fatal. Der Karne­val und die Kaba­ret­tis­ten sagen die unver­blüm­te Wahr­heit. In dem sie das tun und diese Wahr­heit zur Unter­hal­tung machen, tragen sie  mehr zur Verhin­de­rung der Verän­de­run­gen bei, als ihnen lieb sein dürfte.

Die Narre­tei ist das Wasser, das den Zement der Poli­tik zu jenem Beton macht, der dann die Füße der Bürger umschließt. Und wann immer der „Pate Staat“ den Zeit­punkt für rich­tig hält, weil er nicht mehr anders kann, wird er uns im Meer des wirt­schaft­li­chen Chaos versenken.

Am Ascher­mitt­woch kommt dann die „närri­sche“ Retour­kut­sche der Poli­ti­ker. Man schüt­tet dem poli­ti­schen Gegner bild- und wort­reich so rich­tig eins ein. Aber auch das ist nicht mehr, als Unter­hal­tung der Massen.

Ändern wird sich erst dann etwas, wenn die Massen sich bewe­gen wie am Rosen­mon­tag und die glei­chen Forde­run­gen stel­len wie am Rosen­mon­tag, es aber ernst meinen und erst nach Hause gehen, wenn sich etwas ändert. Die poli­ti­sche Kultur der Zukunft braucht den verant­wort­li­chen Bürger. Sie braucht Parti­zi­pa­ti­on und den Willen zur Gestal­tung des eige­nen Lebensumfeldes.

Wenn es eines bestimm­ten Tages dazu braucht, eines Tages an dem das alles begin­nen soll, dann böte sich der Donners­tag an. Der Donners­tag nach Aschermittwoch.

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