Kategorie: Ausgabe 02 - 2014

Leserbriefe 02/2014 0

Leserbriefe 02/2014

Ihre Meinung ist uns wich­tig! Senden Sie uns Ihre Fragen, Anre­gun­gen oder persön­li­chen Meinun­gen. Wir bemü­hen uns, so viele Leser­brie­fe unter­zu­brin­gen, wie möglich. Wenn wir Leser­brie­fe kürzen, dann so, dass das Anlie­gen der Schrei­ben­den gewahrt bleibt. Leser­brie­fe geben nicht die Meinung der Redak­ti­on wieder.

Zum Arti­kel „Geht es auch ohne Geld?“ – Da wird meiner Meinung nach kräf­tig übers Ziel hinausgeschossen.
Ich sehe das prag­ma­ti­scher. Sicher ist der Mensch Teil der Natur,
was bedeu­tet, dass er morgens wenn er aufge­stan­den ist, Hunger
hat und sich aufma­chen muss (etwa arbei­ten gehen?) um was
Essba­res zu finden. In der heuti­gen Zeit der arbeits­tei­li­gen Gesellschaft
(finde ich gar nicht so schlecht) gehe ich um die Ecke zu meinem
Bäcker. Was aber wenn der Bäcker keine Lust hat und heute
lieber faul sein möchte? Und die Kassie­re­rin bei ALDI auch, dann
habe ich ein Problem. Geld an sich ist eine gute Erfin­dung, es darf
sich nur nicht von allei­ne vermeh­ren, es soll nur Tausch­mit­tel sein…

Papst Franziskus – Wegbereiter für die Überwindung der Dominanz des Ökonomischen? – Christoph Rinneberg 0

Papst Franziskus – Wegbereiter für die Überwindung der Dominanz des Ökonomischen? – Christoph Rinneberg

Seit dem 24. Novem­ber 2013 geht ein
Text um die Welt, den wohl kirchennahe
und erst recht kirchen­fer­ne Menschen
der katho­li­schen Kirche kaum zugetraut
haben. Es ist das erste „Apos­to­li­sche
Schrei­ben“ des neuen Paps­tes in Rom,
der als erster sich durch seine Namensgebung
mit Fran­zis­kus von Assisi verbindet.
Vor rund 800 Jahren hat dieser
Fran­ces­co („klei­ner Fran­zo­se“), wie ihn
seine Eltern liebe­voll nann­ten, durch
sein radi­ka­les „Verlas­sen der Welt“
sein neues Verständ­nis von „Gott und
Mensch“ wieder in diese Welt gebracht
und durch sein Leben beglau­bigt. Wegen
seiner Glaub­wür­dig­keit hatten
manche seiner Zeit­ge­nos­sen in ihm gar
einen zwei­ten Chris­tus gesehen.
Mit den Worten „Die Freude des
Evan­ge­li­ums sei immer in euren
Herzen“ lädt Papst Franziskus
alle „christ­gläu­bi­gen“ Menschen
ein, sich auf „Evan­ge­lii Gaudi­um“, die
Freude des Evan­ge­li­ums einzulassen
– und könnte damit kaum protestantischer
sein. Evan­ge­li­um – übersetzt:
frohe Botschaft – ist zum Begriff für
eine Über­win­dung der Existenzängste,
für eine Befrei­ung von TINA-diktierten
– „There Is No Alter­na­ti­ve“ – sog. Sachzwängen
gewor­den. Der neue Papst
hat im Grunde von den ersten Minuten
an in seinem Amt durch ebenso überraschende
wie glaub­wür­di­ge Gesten
dafür gesorgt, dass seine Worte kaum
Barrie­ren zu über­win­den haben, um
auch bei Menschen anzu­kom­men, die
sich nicht als „christ­gläu­big“ verstehen.
Damit hat der Papst kein Wunder
voll­bracht, er hat sich „nur“ voll und
ganz – in Diet­rich Bonhoef­fers Sinne –
der Dies­sei­tig­keit dieser Welt und der
Aufga­be der christ­li­chen Kirchen in dieser
Welt gestellt: Leben geht vor Lehre,
könnte man seine so überraschend
neu klin­gen­de Botschaft auf den Punkt
bringen.
In dieser Betrach­tung der umfangreichen
– in 288 Absät­ze gegliederten
und mit 217 Lite­ra­tur­ver­wei­sen versehenen
– päpst­li­chen Botschaft soll es
in erster Linie um die Abschnit­te 52 bis
60 gehen, in denen „Einige Herausforderungen
der Welt von heute“ thematisiert
werden. Diesen rund 3 Seiten Text
kann man unschwer eine der ärztlichen
Profes­sio­na­li­tät entlie­he­ne Gliederung
nach Symptom, Anamne­se, Diagnose
und Thera­pie unterlegen:
Zu den Sympto­men erfah­ren wir:
„Die Mensch­heit erlebt im Moment eine
histo­ri­sche Wende, die wir an den Fortschritten
able­sen können, die auf verschiedenen
Gebie­ten gemacht werden.
Lobens­wert sind die Erfol­ge, die zum
Wohl der Menschen beitra­gen, zum Beispiel
im Bereich der Gesund­heit, der Erziehung
und der Kommu­ni­ka­ti­on. Wir
dürfen jedoch nicht verges­sen, dass der
größte Teil der Männer und Frauen unserer
Zeit in tägli­cher Unsi­cher­heit lebt,
mit unheil­vol­len Konse­quen­zen. Einige
Patho­lo­gien nehmen zu. Angst und Verzweiflung
ergrei­fen das Herz vieler Menschen,
sogar in den soge­nann­ten reichen
Ländern. Häufig erlischt die Lebensfreude,
nehmen Respekt­lo­sig­keit und Gewalt
zu, die sozia­le Ungleich­heit tritt immer
klarer zutage. Man muss kämp­fen, um
zu leben – und oft wenig würde­voll zu leben….“
(52)
Ergän­zend hierzu wird in den folgenden
Absät­zen u. a. der Hunger in der Welt,
das Wegwer­fen von Lebens­mit­teln, die
Speku­la­ti­on mit Nahrungs­mit­teln, die
Zunah­me des Reich­tums Weni­ger und
der Verar­mung Vieler, die ökonomische
Ausbeu­tung und die sozia­le Unterdrückung
angeführt.
Die Anamne­se ist nicht weni­ger deutlich:
„Dieser epocha­le Wandel ist verursacht
worden durch die enor­men Sprün­ge, die
in Bezug auf Quali­tät, Quan­ti­tät, Schnelligkeit
und Häufung im wissenschaftlichen
Fort­schritt sowie in den technologischen
Neue­run­gen und ihren prompten
Anwen­dun­gen in verschie­de­nen Bereichen
der Natur und des Lebens zu verzeichnen
sind. Wir befin­den uns im Zeitalter
des Wissens und der Information,
einer Quelle neuer Formen einer sehr oft
anony­men Macht.“ (52)
Weiter lesen wir:
Das herr­schen­de „Ungleich­ge­wicht geht
auf Ideo­lo­gien zurück, die die absolute
Auto­no­mie der Märkte und die Finanzspekulation
vertei­di­gen. Darum bestreiten
sie das Kontroll­recht der Staa­ten, die
beauf­tragt sind, über den Schutz des Gemeinwohls
zu wachen. …“(56)
Die Diagno­se bietet für jeder­mann nachvollziehbare
Erklärungen:
Die unüber­seh­ba­re, zuneh­men­de soziale
Ungleich­heit hat sich nicht einfach so
ergeben:
„… Heute spielt sich alles nach den Kriterien
der Konkur­renz­fä­hig­keit und nach
dem Gesetz des Stär­ke­ren ab, wo der
Mäch­ti­ge­re den Schwä­che­ren zunichte
macht. Als Folge dieser Situa­ti­on sehen
sich große Massen der Bevöl­ke­rung ausgeschlossen
und an den Rand gedrängt:
Ohne Arbeit, ohne Aussich­ten, ohne Ausweg.
Der Mensch an sich wird wie ein
Konsum­gut betrach­tet, das man gebrauchen
und dann wegwer­fen kann. Wir haben
die ‚Wegwerf­kul­tur‘ einge­führt, die
sogar geför­dert wird. Es geht nicht mehr
einfach um das Phäno­men der Ausbeutung
und der Unter­drü­ckung, sondern
um etwas Neues: Mit der Ausschließung
ist die Zuge­hö­rig­keit zu der Gesellschaft,
in der man lebt, an ihrer Wurzel getroffen,
denn durch sie befin­det man sich nicht in
der Unter­schicht, am Rande oder gehört
zu den Macht­lo­sen, sondern man steht
drau­ßen. Die Ausge­schlos­se­nen sind
nicht ‚Ausge­beu­te­te‘, sondern Müll, ‚Abfall‘.“
(53)
Die „Trick­le-Down-Theo­rie“ geht davon
aus, „dass jedes vom freien Markt begünstigte
Wirt­schafts­wachs­tum von sich
aus eine größe­re Gleich­heit und soziale
Einbin­dung in der Welt hervor­zu­ru­fen vermag.
Diese Ansicht, die nie von den Fakten
bestä­tigt wurde, drückt ein undifferenziertes,
naives Vertrau­en auf die Güte
derer aus, die die wirt­schaft­li­che Macht in
Händen halten, wie auch auf die vergötterten
Mecha­nis­men des herrschenden
Wirt­schafts­sys­tems. … Um einen Lebensstil
vertre­ten zu können, der die anderen
ausschließt, … hat sich eine Globalisierung
der Gleich­gül­tig­keit entwi­ckelt. Fast
ohne es zu merken, werden wir unfähig,
Mitleid zu empfin­den gegen­über dem
schmerz­vol­len Aufschrei der ande­ren, wir weinen nicht mehr ange­sichts des Dramas
der ande­ren, noch sind wir daran
inter­es­siert, uns um sie zu kümmern, als
sei all das eine uns fern liegen­de Verantwortung,
die uns nichts angeht. Die Kultur
des Wohl­stands betäubt uns….“ (54)
Ein Grund für die in (54) geschil­der­te Situation
„… liegt in der Bezie­hung, die wir
zum Geld herge­stellt haben, denn friedlich
akzep­tie­ren wir seine Vorherrschaft
über uns und über unsere Gesellschaften.
Die Finanz­kri­se, die wir durchmachen,
lässt uns verges­sen, dass an ihrem
Ursprung eine tiefe anthro­po­lo­gi­sche Krise
steht: die Leug­nung des Vorrangs des
Menschen! Wir haben neue Götzen geschaffen.
Die Anbe­tung des anti­ken goldenen
Kalbs (vgl. Ex. 32, 1–35) hat eine
neue und erbar­mungs­lo­se Form gefunden
im Feti­schis­mus des Geldes und in
der Dikta­tur einer Wirt­schaft ohne Gesicht
und ohne ein wirk­lich menschliches
Ziel. Die welt­wei­te Krise, die das Finanzwesen
und die Wirt­schaft erfasst, macht
ihre Unaus­ge­gli­chen­hei­ten und vor allem
den schwe­ren Mangel an einer anthropologischen
Orien­tie­rung deut­lich – ein
Mangel, der den Menschen auf nur eines
seiner Bedürf­nis­se redu­ziert: Auf den
Konsum.“ (55)

Kant nennt es „Unrecht“ – Thomas Mohrs 0

Kant nennt es „Unrecht“ – Thomas Mohrs

Warum die Geheim­ver­hand­lun­gen über das Handels­ab­kom­men TTIP ein Kultur­bruch sind und warum die Philo­so­phie Einspruch erhebt.

Wie hieß das doch beim alten Kant:
„Alle auf das Recht ande­rer Menschen
bezo­ge­ne Hand­lun­gen, deren Maxime
sich nicht mit der Publi­ci­tät verträgt,
sind Unrecht.“ Über­setzt: Jegliche
poli­ti­sche Maßnah­me, die vor
ihrer Imple­men­tie­rung das Licht der
Öffent­lich­keit scheu­en muss, ist per
defi­ni­tio­nem Unrecht. 1795 hat Immanuel
Kant das geschrie­ben, in seinem
„Ewigen Frie­den“, einer der ersten
echten Globa­li­sie­rungs-Theo­rien. Und
irgend­wie ist noch immer was dran an
dieser „Publizitäts“-These.
Nehmen wir zum Beispiel diese
„Trans­at­lan­tic Trade and Investment
Part­ner­ship“ (TTIP), das
größte „Frei­han­dels­ab­kom­men“ aller
Zeiten, das gerade zwischen der EU und
Nord­ame­ri­ka ausge­han­delt wird. Nein:
Nennen wir das Kind beim Namen:
das gerade übern großen Teich hinweg
in Brüs­sel und Washing­ton ausgemauschelt
wird. Unter Ausschluss
der Öffent­lich­keit, geheim, hinter verschlossenen
Türen. Abge­schirmt von
Vertre­tern demo­kra­tisch gewählter
Parla­men­te und erst recht von NGOs
und Verbrau­cher- und Konsumentenschutzverbänden.
Denn die könn­ten den versammelten
Lobby­is­ten der globa­len Konzerne
und Inves­to­ren womög­lich in die Suppe
spucken – in die Hühner­sup­pe gewissermaßen.
Denn: Wenn das funktioniert
mit der TTIP (bzw. der TAFTA:
Trans­at­lan­tic Free Trade Area), dann
können sich beispiels­wei­se amerikanische
Fleisch­kon­zer­ne mit ihren
Chlor­hüh­nern, die derzeit in Europa
aufgrund der stren­ge­ren Hygiene-
Stan­dards verbo­ten sind, in den europäischen
Markt einkla­gen. Einfach
so, weil diese „über­zo­ge­nen“ europäischen
Stan­dards ein Chlorhuhn-Investitionshemmnis
darstel­len und damit
zukünf­ti­ge mögli­che Gewin­ne der Konzerne
gefährden.
Und wenn ein euro­päi­scher Staat sich
weigern sollte? Dann entschei­det nicht
die natio­na­le oder die euro­päi­sche Gerichtsbarkeit,
sondern im Rahmen des
Frei­han­dels­ab­kom­mens organisierte
Tribu­na­le, beschickt von internationalen
Anwalts­kanz­lei­en, deren Vertreter
heute Kläger, morgen Verteidiger,
über­mor­gen Rich­ter sind. Und wenn
das von der Welt­bank (!) beaufsichtigte
Tribu­nal entschei­det, dass der renitente
Staat die „erwar­te­ten künftigen
Profi­te“ des Konzerns XY „unrecht­mä­ßig“
gefähr­det, dann ist dieser Staat
gezwun­gen, seinen Markt für das
strit­ti­ge Produkt – ob Chlor­huhn, Hormonfleisch,
genver­än­der­tes Saatgut,
„groß­zü­gig“ geprüf­te Pharmaprodukte,
Benzin mit toxi­schen Zusatzstoffen
or whate­ver – zu öffnen. Oder millionenschwere
Entschä­di­gun­gen zu zahlen.
Aus Steu­er­gel­dern, versteht sich.
Ein Witz zur Faschings­zeit? Schön
wär’s, wenn auch nur bedingt lustig.
Nein, es ist kein Witz und lustig
schon gar nicht: Was mit dem TTIP auf
uns zukommt, ist – wie es „Le Monde
diplo­ma­tique“ formu­liert – ein
„Staats­streich in Zeit­lu­pe“, die klammheimliche
Instal­la­ti­on einer „Wirt­schafts-
NATO“, deren Befugnisse
buch­stäb­lich gren­zen-los sind. Es ist ein Kultur-Bruch von fundamentalem
Ausmaß: die totale Unterwerfung
des Primats der Poli­tik unter das
Primat der Wirtschaft.
Daher ist es nötig, das Mons­trum TTIP
als „auf das Recht ande­rer Menschen
bezo­ge­ne Hand­lung“ ins Licht der Öffentlichkeit
zu stel­len, um zu zeigen,
was es ist: Unrecht!

Vision oder Privatvergnügen? – Pat Christ 0

Vision oder Privatvergnügen? – Pat Christ

Leben ohne Geld und möglichst ohne Bedürf­nis­se wird zum neuen Nischenlifestyle.

Er wollte nicht länger um das Goldene
Kalb tanzen. Darum entschied sich
Rapha­el Fell­mer vor drei Jahren, in
„Geld­streik“ zu treten. Seit­her macht
er damit Furore. Wobei er keineswegs
der einzi­ge ist, der sich (vorüber­ge­hen­de?)
„Geld­lo­sig­keit“ zum Ideal
erko­ren hat. Heide­ma­rie Schwermer
entschied sich bereits 1996, ohne
Geld zu leben. Mark Boyle gab immerhin
ein Jahr lang den Konsumverweigerer.
Auch die Vagabundenbloggerin
Michel­le stieg für ein Jahr aus und lebte
ohne Heller und Pfennig.
Einmal aussche­ren – wer wünschte
sich das nicht. Dazu hat auch
jeder das Recht. Inter­es­sant sind
die Missio­nen, die hinter dem jeweiligen
Ausstieg stecken. So hat Raphael
Fell­mer mit seiner Aktion die „Lage
der Welt“ und die ganze Mensch­heit im
Blick. Darun­ter macht er es nicht. „Mein
Geld­streik ist sehr breit angelegt“,
meint er im Gespräch mit der HUMANEN
WIRTSCHAFT. Er ist gegen den Kapitalismus.
Gegen die Verschwendung.
Gegen die Ausbeu­tung von Tieren. Gegen
die Umwelt­ver­schmut­zung. Als ein
„Ausru­fe- und ein Frage­zei­chen“, sagt
er uns, sehe er seinen Streik.
Fell­mer tramp­te länge­re Zeit und kam
dadurch auf den Geschmack der Freiheit
und zu seiner Lebensphilosophie.
Man lerne die Dinge mehr zu schätzen,
wenn man sie nicht einfach kaufen kann,
meint er. „Wenn zum Beispiel beim Trampen
endlich ein Auto hält, freut man sich
viel mehr, als wenn man einfach in den
nächs­ten Bus steigt und 2,50 Euro zahlt“,
so der 30-Jähri­ge. Das leuch­tet ein.
Und es erin­nert an „On The Road“, die
Bibel der Beat-Gene­ra­ti­on. Auch hier
nehmen sich junge Menschen eine
Frei­heit, die ihnen die Gesellschaft
frei­wil­lig nicht gibt. Aber dieses Buch
kennt Fell­mer nicht. „Ich bin nicht sehr
bele­sen“, gibt er zu. Und das ist spürbar.
Über­haupt hat es Fell­mer nicht mit
Theo­rien und Philosophien.
Einfach gestrick­tes Weltbild
Sein einfach gestrick­tes Welt­bild weist
ihn denn auch nicht gerade als Feingeist
aus. Da gibt es die wenig anspruchsvollen
Kate­go­rien „Ja“ beziehungsweise
„gut“ und „Nein“ beziehungsweise
„schlecht“. Rapha­el Fell­mer ist gegen
alles, was nicht gut ist: Den millionenfachen
Hunger in der Welt, das „Killen“
von Tieren, die Zerstö­rung der Natur.
Und er ist für alles, was gut ist. Die Liebe.
Die Mensch­heit. Und dergleichen.
Dass er auf alles eine Antwort parat hat,
wirkt ein wenig ober­schlau. Oberfriedlich
und ober­öko­lo­gisch ist er sowieso.
Nur mit Details, stets die Krux an jeder
Proble­ma­tik, hält er sich nicht lange
auf. Irgend­wie scheint es für ihn nichts
tiefer zu verste­hen zu geben… Das ist
entwaff­nend. Dafür mögen ihn viele. Ist
doch die Sehn­sucht nach einfa­chen Erklärungen
und einfa­chen Lösun­gen in
unse­rer hoch­kom­ple­xen Welt groß. Und
wer möchte Kämp­fer für das Gute nicht
gern unterstützen?
Seine Habe musste er vor seinem Freiheitssprung
übri­gens nicht in einem Depot
unter­brin­gen. Fell­mer hat ein Dach
überm Kopf. Bis Ende vergangenen
Jahres lebte er mit seiner Frau und der
zwei­jäh­ri­gen Toch­ter Alma umsonst im
Frie­dens­haus von Berlin. Zu Jahresbeginn
zog er um. Eine Fami­lie nahm die
drei auf: „Wir haben dort ein Zimmer in
einer Fünf-Zimmer-Wohnung.“ Zu eng?
Aber Fell­mer ist ja ohne­hin dauernd
unter­wegs. Vor allem seit sein Buch erschienen
ist. Daran verdient er im Übrigen
nicht, betont er uns gegen­über. Als E‑Book sind die Seiten kosten­los herunterzuladen.
Von der Aufla­ge wird ein
Drit­tel verschenkt. Der Rest fließt zur
Kosten­de­ckung an den Verlag.
Den Ausschlag für die Entscheidung,
geld­los zu leben, gab eine Tramptour
mit Freun­den nach Mexiko. „Er hatte
kein Geld, kam aber trotz­dem immer
weiter“, schreibt Birgit Baumann über
ihn im „Stan­dard“. „Über den Atlantik
nahmen ihn Italie­ner mit dem Segelboot
mit, in Brasi­li­en saß er hinten auf alten
Last­wa­gen. Er schlief bei der Feuerwehr
und in Schu­len, von Restau­rants nahm
er sich, was ohne­hin übrig war. Im Gegenzug
bot er seine Arbeits­kraft an.“
Wer hätte auf solche Sensa­tio­nen in der
großen weiten Welt in jungen Jahren
keine Lust? Die meis­ten jungen Abenteurer
aller­dings lassen es bei einem
einma­li­gen Erleb­nis bewen­den. Nicht
so Rapha­el Fell­mer. Er beschloss nach
seiner Rück­kehr, fortan auch in Berlin
geld­los zu leben.

Verdientes Denkmal für einen großen Freiwirtschafter – Buchrezension von Heinz Girschweiler 0

Verdientes Denkmal für einen großen Freiwirtschafter – Buchrezension von Heinz Girschweiler

Andre­as Müller beleuch­tet Leben und Gedan­ken Fried­rich Salz­manns in einer Biografie.

Er war ein klei­ner, feiner Mann, dazu
ein Leben lang körper­lich behindert:
Deshalb zählt Fried­rich Salzmann
(1915–1990) nicht zu den lauten und
vorder­grün­dig nicht zu den bekanntesten
Köpfen unter den Schweizer
Frei­wirt­schaf­tern. Fritz Schwarz, Hans
Konrad Sonder­eg­ger, Hans Bernoulli,
Werner Schmid und Werner Zimmermann
stehen für viele in dieser ersten
Reihe. Zu ihnen gehört aber unzweifelhaft
auch Fried­rich Salz­mann. Wer
es nicht ohne­hin schon wusste, dem
macht dies die neu erschie­ne­ne Biografie
klar.
Der Sohn eines Schwei­zer Kaufmanns
– in Persi­en gebo­ren, in
Berlin und in der Schweiz aufgewachsen
– hat ein beeindruckendes
schrift­li­ches Werk hinterlassen,
und er setzte sich ein Leben lang für
die Umset­zung der Erkennt­nis­se Silvio
Gesells ein.
Schon in der Jugend infiziert
Salz­mann kam schon im Elternhaus
mit den frei­wirt­schaft­li­chen Ideen
in Kontakt. Ja er begeg­ne­te als Jüngling
auch noch Silvio Gesell, kurz vor
dessen Tod. So war es für den aufgeweckten
jungen Mann eine Selbstverständlichkeit,
sich in der freiwirtschaftlichen
Jugend­be­we­gung zu
enga­gie­ren. Und früh schon trat er
nach einer kauf­män­ni­schen Lehre
auch als Redner an öffent­li­chen Veranstaltungen
auf. Als blut­jun­ger Korrespondent
in Paris berich­te­te er für
das „Freie Volk“ über die große Politik
im Vorkriegs­frank­reich. Nach seiner
Rück­kehr trat er – an der Seite des
legen­dä­ren Fritz Schwarz – in die Redaktion
des frei­wirt­schaft­li­chen Organs
ein. Er prägte es entscheidend
mit. Und er war – zusam­men mit Werner
Schmid – trei­ben­de Kraft bei der
Grün­dung der Liberalsozialistischen
Partei (LSP) im Jahre 1946. Denn Salzmann
war über­zeugt, dass man sich
poli­tisch einmi­schen musste, wenn
man die gute Sache vorwärtsbringen
wollte.
Als in den Fünf­zi­ger­jah­ren die wirtschaftliche
Basis für die freiwirtschaftliche
Wochen­zei­tung zusehends
schwand, fasste Salzmann
schwe­ren Herzens einen Entschluss:
Er folgte einem Ruf des Schwei­zer Radios
und trat in deren Inlandredaktion
ein. Weil er dank seiner weltläufigen
Erzie­hung ein ausgesprochen
gepfleg­tes Hoch­deutsch sprach und
über eine tiefe, ruhige Stimme verfügte,
war er fürs Radio geboren.
Und Salz­mann blühte in diesem Medium
auf. Er wurde zum anerkannten
Chef der Inland­ab­tei­lung, er moderierte
poli­ti­sche Streitgespräche,
und er führte die erste kriti­sche Sendung
für Konsu­men­ten ein. „Mit kritischem
Grif­fel“ hieß sie und wurde zur
damals besten Sende­zeit am frühen
Sams­tag­nach­mit­tag ausgestrahlt.
Dann, 1971, wurde er auf der Liste des
Landes­rings der Unab­hän­gi­gen in
Bern über­ra­schend in den Nationalrat
gewählt. Dort fiel er als seriöser
Arbei­ter in den Kommis­sio­nen (etwa
zum Medi­en­recht) und als unerbittlicher
Kriti­ker der bundesrätlichen
Wirt­schafts- und Konjunkturpolitik
auf. Dann kam zu seiner Behinderung
durch eine Kinder­läh­mung noch die
Parkin­son-Krank­heit hinzu, und er
musste deshalb 1978 schwe­ren Herzens
aus dem Natio­nal­rat zurücktreten.
Die folgen­den Jahre waren dann
– er hatte seine gelieb­te Gattin, Gefährtin
und Betreue­rin Hilde Grünig
schon früh verlo­ren – von einer zunehmenden
Verein­sa­mung geprägt.
Seine letz­ten fünf Jahre verbrach­te er
in einem Berner Pflegeheim.
Radi­ka­ler Denker
Neben seinem beruf­li­chen Wirken
und der direk­ten poli­ti­schen Arbeit
steht das schrift­stel­le­ri­sche Werk
Salz­manns. Er hat rund ein Dutzend
Bücher geschrie­ben, dazu zahlreiche
Schrif­ten und Tausen­de von Artikeln.
In „Bürger für die Geset­ze“ (1949)
setzt sich der leiden­schaft­li­che Liberale
kritisch mit dem Staat als Erzieher
ausein­an­der und fordert einen
freien Bildungs­markt. In „Jenseits der
Inter­es­sen­po­li­tik“ (1953) widmet er
sich der gros­sen Auseinandersetzung
zwischen Kommu­nis­mus und Kapitalismus
und plädiert für eine wahrhaft
libe­ra­le Wirt­schafts­ord­nung mit
star­ken staat­li­chen Leit­plan­ken. Und
in „Mit der Frei­heit leben“ (1961) vertieft
er diese Auseinandersetzung
zwischen den beiden rivalisierenden
Gesell­schafts­sys­te­men und fordert
seinen radi­kal libe­ral­so­zia­len dritten
Weg.
Salz­manns Biograf weist mit Recht
auf dessen letzte Schrift „Gedan­ken
zu einer lebens­wer­ten Zukunft“
(1985) als eigent­li­ches gedankliches
Vermächt­nis hin. Die programmatische
Schrift fasst die Posi­tio­nen der
Libe­ral­so­zia­lis­ten – wohlbegründet
und konzen­triert – zusam­men. Sie
entstand in enger Zusammenarbeit
mit dem dama­li­gen Sekre­tär der Partei,
Hans Barth. Der Einleitungssatz
ist typisch für das Bürgerverständnis
des philo­so­phisch denken­den und
02/2014 www.humane-wirtschaft.de 37
poli­ti­schen handeln­den Menschen
Fried­rich Salzmann:
„Wir sind nicht nur verantwortlich
für das, was wir tun, sondern
auch für alles, was wir widerspruchslos
dulden.“

Der spaltende Geist und das Geldsystem – Peter Berner 0

Der spaltende Geist und das Geldsystem – Peter Berner

Für eine Diskus­si­ons­kul­tur im Geiste inte­gra­ler Wahrheitsfindung.

Meine voran­ge­stell­ten Ausführungen
über den Umgang mit Bösem und Gutem
in unse­rer poli­ti­schen Kultur („Vom
spal­ten­den Geist zu inte­gra­ler Politik“,
HUMANE WIRTSCHAFT 01/2014) endeten
mit einer Beschrei­bung der positiven
Erfah­rung, die ich mit der Dialog-
Metho­de nach David Bohm in einer
Gesprächs­grup­pe zum Thema „Inte­gra­le
Poli­tik“ gemacht habe. Hier wurde
modell­haft jene „inte­gra­le Wahrheitsfindung“
prak­ti­ziert, die ich für
geeig­net halte, den spal­ten­den Geist,
welcher unsere poli­ti­sche Kultur heute
beherrscht, zu über­win­den und ein
huma­nes, fried­vol­les, nach­hal­tig wirtschaftendes
Gemein­we­sen zu entwickeln
und zu gestalten.
Inte­gra­le Wahrheitsfindung
Wieso müssen wir uns über Wahrheitsfindung
über­haupt Gedan­ken machen?
„Wenn ich wissen will, ob es draußen
regnet, gehe ich ans Fens­ter und schaue
nach“, sagt Ken Wilber, und wenn du
mich nach dem Weg zum Bahn­hof fragst
und ich ihn kenne und dir zeige, wissen
wir hinter­her beide, was vorher nur ich
wusste. Wo also liegt das Problem? Nun
– über­all dort, wo ein Bereich der Wirklichkeit
komple­xer wird und nicht mehr
durch einen einfa­chen Erkennt­nis­akt zu
erfas­sen ist wie das gegen­wär­ti­ge Wetter
oder der Weg zum Bahn­hof, wird es
natür­lich etwas schwie­ri­ger. Und dies
ist mit vielen Wirklichkeitsbereichen,
mit denen wir uns als mensch­li­che Gemeinschaften
befas­sen, eben der Fall –
von der Gestal­tung eines Gartens über
die Leitung eines Unter­neh­mens bis hin
zum Design des welt­wei­ten Geldsystems
oder gar einer geziel­ten Beeinflussung
des Erdklimas.
In einem solchen Fall kann jede® der
Betei­lig­ten in der Regel nur einen Teil
der Wirk­lich­keit, die gerade zu untersuchen
oder zu gestal­ten ist, erkennen
und verste­hen – was ebenfalls
so lange unpro­ble­ma­tisch ist, wie ich
als Betrof­fe­ne® mir dessen bewusst
bin, wo die Gren­zen meines Wissens
liegen. Genau hier aber setzen die
Schwie­rig­kei­ten ein, mit denen wir im
gesell­schaft­li­chen Leben oft zu tun bekommen,
sei es im Alltag, in der Wissenschaft
oder in der Poli­tik. Problematisch
wird es nämlich dann, wenn
die Menschen, die an einem gemeinsamen
Prozess der Wahr­heits- und
Entschei­dungs­fin­dung betei­ligt sind,
ihr jewei­li­ges persön­li­ches Teilwissen
(ihre „Halb­wahr­heit“) fälsch­lich mit
der gesam­ten Wahr­heit gleichsetzen.
Daraus entsteht ein Habi­tus, den ich
als „Hoch­mut der Halb­wahr­heit“ bezeichnen
möchte. Dieser kann auf unterschiedliche
Weise gelebt werden,
sei es ganz offen als missionarische
Haltung, welche die ande­ren überzeugen
und „bekeh­ren“ will oder eher indirekt
als jene in der Poli­tik „demo­kra­ti­scher“
Gesell­schaf­ten heute gängige
Haltung, welche versucht, durch Manipulations-
und Macht­mit­tel verschiedener
Art Mehr­hei­ten (oder einflussreiche
Minder­hei­ten) hinter der eigenen
Posi­ti­on zu versammeln.
Denn es ist nicht allein die Komplexität
der Tatsa­chen, die eine Wahrheitsfindung
erschwert. Wir Menschen
haben seit vielen Jahr­tau­sen­den billigend
unter­stützt oder aktiv daran mit
gear­bei­tet, dass unsere geistig-seelische
Schöp­fer­kraft an priesterliche
Hier­ar­chien oder tech­ni­sche Systeme
dele­giert und infol­ge­des­sen weitgehend
dege­ne­riert wurde. Dies begann
mit der Einfüh­rung der Schrift
in den alten Hoch­kul­tu­ren, die gemäß
der Warnung dama­li­ger Weiser
tatsäch­lich kollek­tiv unser Gedächtnis
schwäch­te und endet wahrscheinlich
noch nicht bei den heuti­gen Navigationssystemen,
die beginnen,
unsere Fähig­keit zu räum­li­cher Orientierung
verküm­mern zu lassen. Eine
heraus­ra­gen­de Rolle spielt dabei
das Verküm­mern unse­res Wahrheitssinnes
durch einen weit­ge­hen­den Verlust
unse­rer „Seelen­ver­an­ke­rung“,
unse­rer inne­ren Verbin­dung mit jenem
tran­szen­den­ten Seins­grund, dem wir
entstam­men, und damit eine Schwächung
unse­rer urei­gens­ten Gewissensbindung
oder mora­li­schen Urteilskraft
– und deren Abtre­tung an äußere Hierarchien,
zunächst an die Priester
der verschie­de­nen Reli­gio­nen, heute
zuneh­mend an die Exper­ten der materialistischen
Wissen­schaft und die Produ­zen­ten der moder­nen Massenmedien,
wobei ich diese beiden Systeme
zusam­men­ge­fasst als „Wahr­heits­in­dus­trie“
bezeich­nen möchte.
Wer heute die Welt, in der wir leben,
möglichst ganz­heit­lich verste­hen will,
muss zwei Schlei­er durch­sto­ßen: zum
einen den psycho­lo­gi­schen Schleier
aus Versu­chun­gen zu Scham, Schuldgefühlen,
ohnmäch­ti­ger Resignation,
pani­scher Angst, priva­ti­sie­ren­der Gier,
heili­gem Zorn oder selbstgerechter,
das Böse auf Gegner projizierender
Fehler­su­che, der sich oft vor eine ungeschminkte
Erkennt­nis der Tatsachen
schiebt – zum ande­ren den Schlei­er der
veröf­fent­lich­ten Meinung, den die oben
genann­te Wahr­heits­in­dus­trie über uns
ausbrei­tet. Und groß ist die Versuchung,
alter­na­ti­ve Wahr­heits­su­che so
zu betrei­ben, dass das Modell „hier
Exper­ten­tum – dort gläu­bi­ge Gefolgschaft“
einfach kopiert und mit anderen,
schein­bar besse­ren oder richtigeren
Inhal­ten verse­hen wird – und dann
versucht wird mit den großen Systemen
in Konkur­renz zu gehen (was in der Regel
in Einver­lei­bung oder Vernichtung
der alter­na­ti­ven Heraus­for­de­rung endet),
anstatt diese Dyna­mik grundsätzlich
zu transzendieren.
Dies nämlich erfor­dert einen Weg, den
ich „Demut der Halb­wahr­heit“ nennen
würde. Hier eben betre­ten wir den Bereich
dessen, was ich[1] als „inte­gra­le
Wahr­heits­fin­dung“ bezeich­nen möchte.
Denn hier wählen wir als Beteiligte
eine Grund­hal­tung, die besagt: Da ich
davon ausge­hen kann, dass ich allein
die komple­xe Wirk­lich­keit nicht überblicke
(auch wenn es noch so sehr den
Anschein haben mag), da es aber für
eine gute Entschei­dung des Gemeinwesens
wich­tig ist, dass wir der jeweils
zutref­fen­den Wahr­heit so nah wie möglich
kommen, bin ich als Teil dieses Gemeinwesens
essen­zi­ell darauf angewiesen,
dass auch alle ande­ren Beteiligten
ihre Teil­wahr­heit, ihren Zugang zum
Ganzen, eben­falls in den „Pool“ hinein
geben. Das bedeu­tet prak­tisch: Wer
eine profi­lier­te Posi­ti­on bezieht, die mir
befremd­lich erscheint, löst nicht mehr
– wie bisher üblich – den Reflex aus,
ihn in die rich­ti­ge Schub­la­de einzuordnen
und mir damit gege­be­nen­falls vom
Leib zu halten, sondern wird innerlich
1 in Anleh­nung an die inte­gra­le Philo­so­phie nach Jean
Gebser, Ken Wilber und anderen
will­kom­men gehei­ßen als eine Person,
die – über die Stimme ihres Gewissens,
welche jede(n) Einzelne(n) an das universelle
Bewusst­sein zurück bindet
– die Wahr­heits­fin­dung der Gemeinschaft
vervollständigt.

Unvergängliche Spuren am Strand des Lebens – Die Redaktion 0

Unvergängliche Spuren am Strand des Lebens – Die Redaktion

In memo­ri­am Margrit Kennedy.

Am 28. Dezem­ber 2013 verstarb
Margrit Kenne­dy in ihrem Zuhause
in Stey­er­berg an Krebs.
Bereits Ende der 70er Jahre begann
sie, inner­halb der beruf­li­chen Tätigkeit
als Archi­tek­tin und Stadtplanerin
die ökolo­gi­schen Fragen in
den Mittel­punkt ihres Wirkens zu stellen.
Ihr Leben bekam jedoch ab 1982
eine unvor­her­seh­ba­re Wendung. Sie
entdeck­te die Ursa­chen für jene Auswirkungen,
die ihre Arbeit als umweltbewusst
denken­de Wissenschaftlerin
und Plane­rin stets maßgeb­lich und vor
allen Dingen nega­tiv beeinträchtigten
im herr­schen­den Geld­sys­tem. Sie war
über­zeugt, dass die Mecha­nis­men einer
auf unend­li­ches Wachs­tum ausgerichteten
Wirt­schaft niemals mit den
Erfor­der­nis­sen eines respektvollen
und wert­schät­zen­den Umgangs mit
der Natur verein­bar sind. Auch erkannte
sie, wie die zuneh­men­den sozialen
Verwer­fun­gen eng mit dem Geldsystem
zusam­men hingen, das vor allen
Dingen zu einem präde­sti­niert war:
Immense Geld­ver­mö­gen bei einer verschwindend
gerin­gen Zahl von Menschen
zu kumu­lie­ren. Und das auf Kosten
und zu Lasten der Gesamt­heit. Die
beruf­li­che und gesell­schaft­li­che Stellung
erlaub­te es ihr, sich auf wirkungsvolle
Weise für Verän­de­run­gen starkzumachen.
Doch Margrit Kenne­dy beließ
es nicht bei theo­re­ti­schen Forderungen
an abstrak­te Adressaten.
Sie ergriff Initia­ti­ve und nutzte internationale
Erfah­rung und den Fundus an
Kontak­ten, um konkre­te Projek­te in die
Tat umzusetzen.
Sowohl im deutsch­spra­chi­gen Raum
als auch welt­weit wäre die Entwicklung
komple­men­tä­rer Währun­gen heute
nicht auf dem Stand, auf dem sie
sich befindet.
Mit Margrit Kenne­dy verliert diese Bewegung
zwar eine der herausragenden
Kräfte, aber Impul­se sind längst
in wegwei­sen­den Projek­ten verwirklicht,
sodass der Geist ihrer Arbeit unverwüstliche
Früch­te trägt. Mit „Geld
ohne Zinsen und Infla­ti­on“ legte sie
bereits 1991 ein leicht verständliches
Buch vor. Unzäh­li­gen Menschen
wurde damit der Blick in die Welt der
schein­bar undurch­sich­ti­gen Zusammenhänge
des Geldes geschärft. „Occupy
Money«, ihre letzte Buchveröffentlichung,
hat die sich weltweit
formie­ren­de Bewe­gung von Protestgruppen
mit grund­le­gen­dem Wissen
inspi­riert. Wissen, das Instru­men­te an
die Hand gibt, mit denen aus Protesten
gegen vermeint­lich fragwürdige
Mächte, eindeu­ti­ge Forde­run­gen für
Zukunfts­lö­sun­gen hervor­ge­hen können.
Natür­lich bemerk­te Margrit Kennedy
zeit­le­bens, wie dick die Bretter
sind, die man bohren muss, um ein
derart funda­men­ta­les Umden­ken vor
allem auf höchs­ter poli­ti­scher Ebene
zu erwir­ken. Ehrgei­zi­ge Ziele, dessen
war sie sich bewusst, erreicht man nur
durch viel­schich­ti­ge Arbeit, maßgeblich
solche, die „von unten“ initiiert
wird. „Viel­falt“ war ohne­hin ein Stichwort,
das sie stets beweg­te. „Wir haben
bezüg­lich Klei­dung, Autos und unendlich
vielen Dingen des Lebens eine
große Viel­falt an Ange­bo­ten. Zu nahezu
jeder einzel­nen Vorlie­be der Menschen
gibt es eine passen­de Auswahl.
Ande­rer­seits schei­nen wir zu glauben,
dass eine einzi­ge Geld­form ausreicht,
all die Funk­tio­nen zu erfüllen,
die das Leben mit sich bringt!“ „Warum
lassen wir den Gedan­ken nicht zu,
dass es sinn­voll ist, ein unerschöpfliches
Reser­voir an Zahlungs­mit­teln zu
gestal­ten, um die unterschiedlichen
Aufga­ben zu meis­tern? Warum sollte
es nicht eigens eine Währung für Bildungsaufgaben
geben? Eine für die Altersvorsorge?
Oder eine, welche den
Erfor­der­nis­sen der Nutzung unserer
Umwelt entspricht?“
In diesem Sinne argu­men­tier­te Margrit
Kenne­dy auf unzäh­li­gen Veranstaltungen,
auf denen sie als Referentin
oder Disku­tan­tin einge­la­den war. Sie
weiger­te sich zu akzep­tie­ren, dass es
„eine Wahr­heit“ für alle Fragen gibt.
Immer war sie von der Tota­li­tät des
Seins über­zeugt. Nichts, was wir tun,
aber auch nichts, was wir nicht tun,
bleibt ohne Folgen für das Ganze.
Sie konnte und wollte nicht verstehen,
warum die Logik eines Geldsystems,
das alles zu zerstö­ren droht, was den
Menschen lieb und wert­voll ist, von einer
Mehr­heit klag­los hinge­nom­men zu
werden scheint.

Erinnerungen an Margrit Kennedy – Helmut Creutz 0

Erinnerungen an Margrit Kennedy – Helmut Creutz

Erin­ne­run­gen
an meine ersten
Kontak­te mit
den monetären
Realitäten –
und der Rolle
Margrit Kennedys
in diesem
Lebensabschnitt.
Der viel zu frühe Tod von Margrit Kennedy
hat bei mir viele Erinnerungen
wach­ge­ru­fen. Vor allem bezo­gen auf
meine ersten Schrit­te in Sachen Zins
und Frei­wirt­schaft und damit jenem
völlig unge­plan­ten Lebensabschnitt,
der für mich, Ende der 1970er Jahre,
durch einen Zufall begann und wenige
Jahre später, durch die Begegnung
mit Margrit, äußerst wich­ti­ge Mut machende
Impul­se erhal­ten hat.
Wie schon häufi­ger berichtet,
wurde ich Ende 1977, durch
die Zuschrift eines Lesers meines
Schul­ta­ge­buchs „Haken krümmt
man beizei­ten“, mit diesen geldbezogenen
Begrif­fen und Themen bekannt.
Jenes Buches, das vor allem durch die
Fern­seh-Vorstel­lung in „Titel, Thesen,
Tempe­ra­men­te“ als Buch des Monats
viele Reak­tio­nen in der Öffentlichkeit
auslös­te, darun­ter auch diese Zuschrift
von Walter Michel aus Berlin, die mein
Leben verän­dern sollte.
Wie sich später heraus­stell­te, handelte
es sich um einen selbst­stän­di­gen Handwerksmeister,
der nach dem Krieg in der
DDR annahm, für das Thema Freiwirtschaft
und Gesell wieder öffent­lich eintreten
zu können. Er hatte sich jedoch
geirrt und wurde wegen seiner Veröffentlichungen
von der damals noch vorherrschenden
sowje­ti­schen Besatzungsmacht
verhaf­tet, erst zum Tode verurteilt
und dann zu lebens­läng­li­cher Haft in der
berüch­tig­ten Festung Baut­zen „begna­digt“,
einer Strafe, von der er mehr als
zehn Jahre absit­zen musste.
Was Walter Michel mir schrieb, war für
mich anfangs völlig unver­ständ­lich. Weder
den Namen Silvio Gesell noch den
Begriff „Frei­wirt­schaft“ (der mich immer
an eine sommer­li­che Gartenwirtschaft
erin­ner­te!) hatte ich je gehört. Und das
Glei­che galt auch für das beigelegte
kleine Buch eines Hans Kühn, „5000
Jahre Kapi­ta­lis­mus“, dem dann jedoch –
wenn auch stilis­tisch etwas aufgemotzt
– einige konkre­te­re Anga­ben und Zahlen
zu entneh­men waren die mich neugierig
mach­ten. Das beson­ders im Hinblick
auf die Auswir­kun­gen exponentiell
wirken­der Abläu­fe, mit denen er den
Zinses­zins-Effekt beschrieb – einer Problematik,
die mir dadurch zum ersten
Mal deut­lich wurde und für die ich vielleicht
auch nur deshalb offen war, weil
sich mir damals, Ende der 1970er Jahre
und ange­sichts der allge­mei­nen Wachstumseuphorie,
schon die Frage aufgedrängt
hatte, wie lange das eigentlich
noch weiter gehen sollte. Doch diese
von Hans Kühn gemach­ten Ausführungen
musste ich jedoch vor einer Antwort
an Walter Michel unbe­dingt überprüfen.
Das betraf vor allem die Gegensätzlichkeiten
von linea­rem und exponentiellem
Wachs­tum und deren Vergleiche
mit den natür­li­chen Wachstumsabläufen.
Bei denen die zeit­li­chen Abstände
zwischen den Verdopp­lun­gen bekanntlich
immer größer und schließ­lich „unend­lich“
werden, wie wir aus unserer
eige­nen Entwick­lung ab 18-
20 Jahren
wissen. Im Gegen­satz dazu, nahm ein
expo­nen­ti­el­les Wachs­tum, mit gleich
blei­bend langen Verdopplungs-Schritten,
stän­dig schnel­ler zu – wie bei den
Geld­an­la­gen durch Zins und Zinseszins
der Fall. Eine Entwick­lung, die –
das hatte ich nach der Schrift von Hans
Kühn verin­ner­licht – förm­lich zu Explosionen
führen musste!
Erfah­run­gen zu den Zinsauswirkungen
in der Praxis
Zinsen waren mir – damals bereits 55
Jahre alt – bis dahin immer nur als eine
schöne Ange­le­gen­heit bekannt, über
deren Gutschrift auf dem Sparbuch
man sich am Jahres­an­fang immer freute.
Und bezo­gen auf die Hypotheken,
die ich für Bauwer­ke laufend aufnehmen
musste, blieb der Mix von Zinsen
und Tilgung in der Miete als Summe
häufig gleich. „Bewei­se“ für die zinsbedingten
Wachs­tums-Wirkun­gen in unserem
norma­len Leben und vor allem
deren Brisanz, entdeck­te ich dann erst
im Zusam­men­hang mit grafi­schen Aufzeichnungen
von Mietberechnungen
und deren Bestandteil-Verschiebungen
im Laufe der Jahre und Jahrzehnte.
Obwohl diese Berech­nun­gen bei den
Wohnungs­bau­fi­nan­zie­run­gen eine
der Voraus­set­zun­gen für die staatlichen
zins­güns­ti­gen Zuschüs­se waren
und man sie im Vorhin­ein nachweisen
musste, waren mir diese Wechselwirkungen
nie aufge­fal­len. Und wirklich
über­zeu­gend wurden sie für mich erst
dann, als ich sie beispiel­haft nebeneinander
in Grafi­ken umsetz­te. Das
vor allem bezo­gen auf jene Vorgänge
im Geld- und Kredit­be­reich, die mir
bislang als problem­los erschie­nen waren:
Wenn man zu viel Geld in der Tasche
hatte und vorerst nicht brauchte,
zahlte man es eben bei den Banken
ein, die es dann zwischen­zeit­lich weiter
verlie­hen. Und dass man dafür einen
– meist nur rela­tiv gerin­gen – Zins
erhielt, war eine kleine Beloh­nung für
diese Erspar­nis­bil­dung, die dann der
Kredit­neh­mer seiner­seits jeweils an
die Bank zu zahlen hatte.

Auf Raiffeisens Spuren – Bericht von Pat Christ 0

Auf Raiffeisens Spuren – Bericht von Pat Christ

Im deutsch­spra­chi­gen Raum grün­den sich immer mehr Sozialgenossenschaften

Ob Post­dienst, Dorf­la­den, Arztpraxen,
Kinder­be­treu­ungs­ein­rich­tun­gen oder
Busver­bin­dun­gen – in länd­li­chen Räumen
dünnt die Infra­struk­tur zum Teil
drama­tisch aus. Hier­auf reagie­ren Sozialgenossenschaften.
Sie setzen sich
für demenz­kran­ke Menschen ein oder
zielen, in Form von Seniorengenossenschaften,
auf ein koope­ra­ti­ves Altern
ab. Der Genossenschaftsgedanke
wächst stetig. So wurden in den vergangenen
acht Jahren in Deutsch­land rund
1.300 Genos­sen­schaf­ten gegründet.
Eine Sozi­al­ge­nos­sen­schaft ist eine
Versi­che­rung auf Gegenseitigkeit:
Man gibt und hilft sich solidarisch.
Dahin­ter steckt die bereits
von Fried­rich Wilhelm Raiff­ei­sen forcierte
Idee, dass alle gemein­sam viel
mehr auf die Beine zu stel­len vermögen
als ein Mensch allei­ne. Das gilt laut
Heike Walk vom Zentrum Tech­nik und
Gesell­schaft (ZTG) der TU Berlin auch
für ein so aktu­el­les Thema wie „Klima­wan­del“.
Als kollek­ti­ve Zusammenschlüsse
haben Genossenschaften
den Analy­sen der Geschäftsführerin
des ZTG-Insti­tuts für Protest- und Bewegungsforschung
zufol­ge vielfältige
Hand­lungs­mög­lich­kei­ten, um den Klimaschutz
in Städ­ten voranzutreiben.
Viele Sozi­al­ge­nos­sen­schaf­ten treten
als klas­si­sche Non-Profit-Organisationen
auf. Hier schlie­ßen sich Menschen
auf der Basis von Selbst­hil­fe oder ehrenamtlichen
Enga­ge­ment kooperativ
zu zusam­men. Dane­ben exis­tie­ren aber
auch Sozi­al­ge­nos­sen­schaf­ten, die zu
bezah­len­de Leis­tun­gen erbrin­gen, die
zwar gesell­schaft­lich notwen­dig und
zentral für eine nach­hal­ti­ge Entwicklung
sind, vom Markt aber nicht mehr
zur Verfü­gung gestellt werden.
Von pallia­ti­ver Hilfe
bis zur Nahraumversorgung
Die Hand­lungs­fel­der von Sozialgenossenschaften
fächern sich demnach
stark auf. Allein im Gesund­heits- und
Pfle­ge­sek­tor exis­tiert heute eine breite
Ange­bots­pa­let­te, die vom Palliativbereich
über das Senio­ren­woh­nen bis
hin zu Kran­ken­haus­netz­wer­ken reicht.
Selbst der Bereit­schafts­dienst von
Ärzten kann sozialgenossenschaftlich
orga­ni­siert werden. Viele Genossenschaften
enga­gie­ren sich vor dem
Hinter­grund des demographischen
Wandels auch dafür, die sozia­le Infrastruktur
vor Ort zu erhal­ten oder sie neu
zu schaf­fen. Dies betrifft die Kinderbetreuung
und die Jugend­hil­fe ebenso wie
die Themen „Alters­ge­rech­tes Wohnen“
und „Nahraum­ver­sor­gung“.
Um die psycho­so­zia­le Gesund­heit von
Kindern und Jugend­li­chen kümmert
sich im italie­ni­schen Bruneck seit vielen
Jahren die Sozialgenossenschaft
EOS. Bereits 1995 eröff­ne­te die Organisation
eine sozi­al­päd­ago­gi­sche WG
für psych­ia­trisch auffäl­li­ge Jugendliche.
Vier Jahre später star­te­te sie in Bruneck
ein Projekt für ein Beglei­te­tes Wohnen
von Heran­wach­sen­den mit seelischen
Proble­men. Ein zwei­tes Projekt dieser
Art wurde 2001 in Bozen eröff­net. 2005
star­te­te die von der Genos­sen­schaft organisierte
Ambu­lan­te sozialpädagogische
Fami­li­en­ar­beit im Puster­tal. Von
Jahr zu Jahr wuchs die Mitarbeiterzahl.
Heute liegt sie bei um die 80.

Auf, auf zum ersten Gefecht – Kommentar von Wilhelm Schmülling 0

Auf, auf zum ersten Gefecht – Kommentar von Wilhelm Schmülling

Wer den Frie­den will, darf nicht rüsten,
denn der Rüstung folgt der Krieg. Da
Deutsch­land keine Feinde hat, bräuchte
es auch keine Rüstung.
Wenn nur nicht die Rüstungslobby
mit dem Argu­ment „Arbeits­plät­ze“
hausie­ren ginge,
natür­lich nicht bei Ihnen, Sie wollen
sich doch keinen Panzer in den Vorgarten
stel­len, sondern bei denen,
die das Geld dafür haben: bei den Regierenden.
Genau genom­men, haben
auch die Regie­run­gen dafür kein Geld,
das holen sie sich bei Ihnen. Nicht mit
einem bewaff­ne­ten Stoß­trupp, sondern
unbe­waff­net mit Wahlunterlagen,
damit Sie ja die friedliebenden
Rüstungs­be­für­wor­ter wählen. Sehr
freund­lich reden sie über „Frie­dens­si­che­rung“,
leben wir doch in einem
demo­kra­ti­schen Land, das verteidigt
werden müsse.
In Mali, Soma­lia oder Afgha­ni­stan und
vielen Ländern dieser Welt ist das anders.
Da herr­schen Dikta­tur und Not.
Die Terro­ris­ten nützen das schamlos
aus, holen die jungen Männern aus
den Hütten, verspre­chen ihnen Brot
und Spiele, grei­fen erst ihre Landsleute,
dann auch uns an. Also müssen
wir uns bewaff­net verteidigen,
auch am Hindu­kusch. So hieß doch
der Schlacht­ruf zum ersten Gefecht in
Afgha­ni­stan. Jetzt schließt Ursula von
der Leyen Kampf­ein­sät­ze in Mali nicht
mehr aus.
Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin Ursula von
der Leyen plädier­te für ein stärkeres,
inter­na­tio­na­les Enga­ge­ment in Afrika.
Die Trup­pen­stär­ke in Mali soll von
180 auf 250 Solda­ten erhöht werden.
Dort leben 15 Millio­nen Menschen, die
Hälfte davon – so Frau von der Leyen
– sind unter 15 Jahre alt. Können wir
sie bis zum Erwach­se­nen­al­ter mit verstärkter
Entwick­lungs­hil­fe versorgen?
Wohl kaum. Also wird Deutschland
zunächst auch Waffen liefern. Da aber
Malis und andere
Afri­ka­ner damit
nicht umgehen
können, müssen
deut­sche Soldaten
vor Ort sein,
um den Umgang
mit der Waffe zu
lehren, auch um
zu töten. Wenn
Terro­ris­ten dabei
stören, wird
zurückgeschossen.
Einige Gutmenschen
schla­gen doch tatsächlich
vor, wir soll­ten nur Brun­nen bauen und
Acker­bau betrei­ben. Was für Narren!
Frie­dens­ver­tei­di­gung ohne Waffen? Ja,
das muss möglich sein, denn wie weit
haben uns bewaff­ne­te „Landes­ver­tei­di­gun­gen“
gebracht? Kürz­lich plakatierte
MISEREOR „Mut ist, Waffen mit
Worten zu bekämp­fen.“ Sich darauf beschränken
bedeu­tet aller­dings, den Zustand
des Elends zu festi­gen. Und hier
muss ange­setzt werden: Gerechtigkeit
zur Grund­la­ge der Poli­tik machen!
Trach­ten wir zuerst nach der Gerechtigkeit
und alles andere wird uns zufallen.
Statt mili­tä­ri­scher Vertei­di­gung unhaltbarer
Zustän­de in der Welt – auch
bei uns – muss die sozia­le Frage gelöst
werden. Ihre Ursa­che muss erkannt
und besei­tigt werden. In einer auf Profit
ausge­rich­te­ten Wirtschaftsordnung
ist das unmög­lich. Eine auf Arbeitsertrag
fixier­te Wirt­schafts­ord­nung muss
einge­rich­tet werden.
Es gibt Hoff­nung. Wir sind dabei, unsere
Einheit mit all unse­ren Mitmenschen
zu erken­nen, so dass es bald
unmög­lich sein wird, einan­der auszubeuten,
zu berau­ben oder gar zu
töten. Solan­ge uns das nicht gelingt,
können wir nicht behaup­ten, in einer
zivi­li­sier­ten Welt zu leben.

Auf, auf zum letz­ten Gefecht zur
Besei­ti­gung systembedingter
Ungerechtigkeiten –
ohne Waffen!

Arbeit zwischen Verherrlichung und Entwertung – Günther Moewes 0

Arbeit zwischen Verherrlichung und Entwertung – Günther Moewes

„In Deutsch­land waren noch nie so viele Menschen in Arbeit wie 2013“ tönt es aus den Medien. Und seit 1960 regel­mä­ßig von allen Kanz­lern: „Die Wende auf dem Arbeits­markt steht unmit­tel­bar bevor.“ Es wird der Eindruck erweckt, die Arbeit nähme wieder zu. Die Reali­tät sieht anders aus. Tatsäch­lich hat die Zahl der durch­schnitt­lich geleis­te­ten Jahres­ar­beits­stun­den in Deutsch­land von 1960 bis 2012 um 35,4 auf 64,6 % abge­nom­men, d.h. um mehr als ein Drit­tel. Wenn sich die Zahl der Beschäf­tig­ten trotz­dem erhöht hat, dann nur, weil diese Verrin­ge­rung des tatsäch­lich erbrach­ten Arbeits­vo­lu­mens in Form von unbe­zahl­ter Arbeits­zeit­ver­kür­zung auf drei Millio­nen Teil­zeit­be­schäf­tig­te abge­la­den wurde. Deren Zahl ist inzwi­schen höher als die der 2,95 Mio. Arbeits­lo­sen. Diese 64,6 % der 1960 erbrach­ten Arbeits­stun­den geben jedoch noch nicht den tatsäch­li­chen Rück­gang des Arbeits­vo­lu­mens wieder. Denn in ihr ist ja noch nicht die enorm gestie­ge­ne Arbeits­lo­sig­keit enthal­ten. 2012 betrug die Arbeits­lo­sig­keit in Deutsch­land 6,8 % (= 2,95 Mio.), 1960 ganze 1,3 % (0,27 Mio.). Würde man die 2012 insge­samt tatsäch­lich geleis­te­ten Jahres­ar­beits­stun­den mit auf die Arbeits­lo­sen verteilen,
hätte jeder Erwerbs­fä­hi­ge pro Jahr 142 Std. weni­ger arbei­ten müssen. Das so ermit­tel­te heute erbrach­te Arbeits­vo­lu­men pro Erwerbs­fä­hi­gen beträgt dann nur noch 59 % dessen von 1960, also über 40% weniger.

Steuerhinterziehung – Volkssport in unterschiedlichen Spielklassen – Dirk Löhr 0

Steuerhinterziehung – Volkssport in unterschiedlichen Spielklassen – Dirk Löhr

Plädoy­er für eine Staats­fi­nan­zie­rung aus ökono­mi­schen Renten

Alle tun es. Die Ikone Ulrich Hoeneß.
Der hono­ri­ge CDU-Schatz­meis­ter Helmut
Lins­sen. Die „mora­li­sche Instanz“
Alice Schwar­zer. Der fein­sin­ni­ge Kultur-
Staats­se­kre­tär André Schmitz aus
Berlin. Beson­ders pikant: Letz­te­rer ist
Mitglied derje­ni­gen Partei, die sich
als Vorrei­ter gegen krimi­nel­le Steuerhinterzieher
sieht. Sein Parteifreund
Peer Stein­brück drohte seiner­zeit damit,
die Kaval­le­rie gegen die kleine
Schweiz ausrü­cken zu lassen.
Dabei nimmt sich jeder das, was
er kann. Steu­er­hin­ter­zie­hung ist
ein Volks­sport. Aller­dings gibt es
verschie­de­ne Ligen. Der eine trägt eben
inter­na­tio­na­le Spiele auf den Bahamas
aus, der andere bleibt in seinem Dorf
stecken – Kreis­klas­se, mit nicht ausgestellten
Handwerkerrechnungen.
Um das deut­sche Steu­er­sys­tem ranken
sich viele Mythen. 70–80 % der
welt­wei­ten Steu­er­li­te­ra­tur sollen sich
angeb­lich des Problem­fal­les Deutschland
anneh­men. Das ist sicher­lich maßlos
über­trie­ben. Doch selbst, wenn es
nur 15 % sind (Späth, o. J.) , ist dies
ange­sichts eines Anteils von 1,2 % an
der Welt­be­völ­ke­rung doch schon eine
recht stolze Zahl. Für den „Vater Staat“
ist es dabei häufig das Klein­vieh, das
Mist macht. Konse­quenz: Gerade Massenfälle
wie Dienst­wa­gen, geldwerte
Vortei­le, Dienst­rei­sen etc. werden
so kompli­ziert und klein­lich geregelt,
dass kaum jemand mehr durchblickt.
Hinzu kommt ein Gerechtigkeitsfimmel
der deut­schen Gerich­te (der sich
dann irgend­wann auch in den Verwaltungsanweisungen
niederschlägt).
Die Kosten des ganzen Thea­ters werden
zu einem großen Teil auf die Steuerpflichtigen
verla­gert (auch in Gestalt
von Rechtsunsicherheiten).
Der erwähn­te Gerechtigkeitsfimmel
der Gerich­te tobt sich leider an der
voll­kom­men falschen Stelle aus. Das
zentra­le Problem der Rentenökonomie
wird nämlich nicht ange­gan­gen. Am
besten erschließt sich dieses über das
sog. „Henry George-Theo­rem“ („Golden
Rule of Local Public Finan­ce“), das
u.a. vom Nobel­preis­trä­ger und früheren
Welt­bank-Chef­öko­no­men Joseph
Stig­litz forma­li­siert wurde.
Das Henry George-Theo­rem (s. Abb.)
kann von links nach rechts und umgekehrt
inter­pre­tiert werden: Die öffentlichen
Güter (Infra­struk­tur, Sicherheit,
Bildung, Gesundheitseinrichtungen)
können unter bestimm­ten Bedingungen
voll­stän­dig aus den Bodenrenten
finan­ziert werden, wobei „Boden“ in
einem sehr weiten Sinne verstanden
wird (als alles, was der Mensch nicht
geschaf­fen hat, und sogar – wie bei
geis­ti­gen Eigen­tums­rech­ten – noch
darüber hinaus). Also: Man bräuchte
gar keine Steu­ern, wenn man den
Staat aus den ökono­mi­schen Renten
finan­zie­ren würde.

Kapitalismus ohne Rücksicht auf Verluste – Friedrich Müller-Reißmann 0

Kapitalismus ohne Rücksicht auf Verluste – Friedrich Müller-Reißmann

Kapi­ta­lis­mus ist die reale Perver­si­on der idea­len Markt­wirt­schaft Die Markt­wirt­schaft ist ein Wirt­schafts­sys­tem, das die (mate­ri­el­len) Bedürf­nis­se aller Menschen auf effiziente,
nach­hal­ti­ge Weise erfüllt und leis­tungs­lo­se Einkom­men tenden­zi­ell unter­bin­det. Kapi­ta­lis­mus bewirkt syste­ma­tisch das Gegen­teil: Verschwen­dung begrenz­ter Ressour­cen und Erzeugung
riesi­ger leis­tungs­lo­ser Einkom­men zulasten
der arbei­ten­den Menschen. Kapitalismus
ist die große wirkungsvolle
Metho­de der Privi­le­gier­ten, den Angriff
der Markt­wirt­schaft auf ihre Privilegien
ins Leere laufen zu lassen.
Hochglanzsystem
Kapitalismus
Die Rekla­me liefert tagtäg­lich den Beweis
für das Versa­gen des gegenwärtigen
Systems. Sie ist das allgegenwärtige
Armuts­zeug­nis des Kapi­ta­lis­mus, gewissermaßen
ein Armuts­zeug­nis auf Hochglanzpapier.
Ihre Botschaft zwischen
den Zeilen lautet: „Ein mündi­ger Verbraucher
wäre eine Kata­stro­phe. Lasst euch manipulieren
und kauft, was ihr eigent­lich nicht
braucht, und vor allem stän­dig mehr – sonst
funk­tio­niert unsere Wirt­schaft nicht!“. Kann
aber ein System auf die Dauer funktionieren,
das einen beispiel­lo­sen Wettbewerb
um die Gunst der Dumm­heit (Eitel­keit,
Verschwen­dungs­sucht, Angeberei
usw.) entfa­chen und stän­dig schüren
muss, um zu funktionieren?
Der Wett­lauf der Titanic’s
Jeder ist verzwei­felt bemüht, an der Spitze
mitzu­hal­ten. Wer nicht ande­ren voraus
ist, hat schon verlo­ren. Ein Wettlauf,
ohne das Ziel zu kennen. Niemand fragt
nach der Rich­tung, niemand stellt sich
die Frage, ob am Ende ein Ziel winkt, für
das sich die ganze Anstren­gung lohnt.
Noch schlim­mer: ein Ende dieses gigantischen
Wett­laufs ist gar nicht vorstellbar.
Der Kapi­tän und die Offi­zie­re feuern
die Mann­schaft an, das Letzte zu geben.
Auch die Passa­gie­re, vor allem die weniger
privi­le­gier­ten unter ihnen, werden
aufge­ru­fen, „umzu­den­ken“, Abstriche
an ihren gewohn­ten Rech­ten hinzunehmen
und alles in den Dienst des Wettlaufs
zu stellen…
„Und glaubt ja nicht, denen auf den anderen
Schif­fen ginge es besser. Auch die
brin­gen schmerz­haf­te Opfer, um nicht
abge­hängt zu werden“. Warum dieser
Wahn­sinn? Eine mögli­che Antwort: Niemand
weiß, wie man sich von diesem
Wett­lauf abkop­pelt, ohne dass man
dann auf einer lang­sam verrot­ten­den Titanic
einsam durch den Ozean dümpelt.
Also schlicht und einfach Mangel an
mach­ba­ren und attrak­ti­ven Alternativen
zum bedin­gungs­lo­sen Wettlauf?
Doch das kann nicht die ganze Antwort
sein. Denn sie erklärt nicht, warum die
Suche nach Alter­na­ti­ven von den Kapitänen
und Offi­zie­ren immer so schnell
als Phan­tas­te­rei, Spin­ne­rei, Wunschdenken
usw. abge­tan oder sogar als gefährliche
System­ver­än­de­rung diffamiert
wird. Nein, die Erklä­rung ist meines Erachtens
darin zu suchen, dass in ihren
Köpfen eine ideo­lo­gi­sche Verklärung
des Wett­laufs als Garant grenzenlosen
Fort­schritts exis­tiert, wohlgemerkt,
genau dieses gigan­ti­schen Wettlaufs,
nicht des Wett­be­werbs als stimulierendem
Prin­zips der Evolu­ti­on, sonst könnte
man ja auch seine Kraft auf den Wettbewerb
der Ideen konzen­trie­ren, wie
das Leben auf dem Schiff am schönsten
und gerech­tes­ten für alle Schiffsbewohner
zu gestal­ten ist. Doch man vertraut
lieber darauf, dass man sich diesen
schwie­ri­gen Fragen nach Lebensqualität
und Gerech­tig­keit nicht stel­len muss,
wenn man nur im großen Wett­lauf die
ande­ren Schif­fe hinter sich lässt.
Ideo­lo­gi­sche Dogmen schwe­ben nicht
im reali­täts­lee­ren Raum. Im Grunde wissen
die Kapi­tä­ne, dass sie selbst nur
dann über­pro­por­tio­nal vom Wettkampf
profi­tie­ren, wenn sie vorn liegen und
das heißt: Wer auf den hinte­ren Plätzen
liegt, zahlt über­pro­por­tio­nal. Eigentlich
wird das ziem­lich offen ausgesprochen.
„Wenn wir unse­ren Wohl­stand halten
wollen, müssen wir im internationalen
Wett­be­werb die Nase vorn behalten.“
Man sagt zwar: Vom freien Welthandel
profi­tie­ren alle, aber man weiß: So gut
wie es uns geht, kann es uns nur gehen,
wenn es den ande­ren nicht so gut geht.
Das ist die Ideo­lo­gie hinter der Ideologie
unse­res Wirt­schafts­sys­tem: Wir können
uns das Glück gar nicht mehr anders
vorstel­len als das Glück von Siegern.
Und Sieger siegen nun mal auf Kosten
der Verlierer.

Kapitalismus – Wort ohne Bedeutung? – Andreas Bangemann 0

Kapitalismus – Wort ohne Bedeutung? – Andreas Bangemann

Kapi­ta­lis­mus – Wort ohne Bedeutung?
Eine Spurensuche

Kapi­ta­lis­mus­kri­tik ist welt­weit an der
Tages­ord­nung. Alle schrei­ben darüber,
alle reden davon. Doch worüber eigentlich?
Was ist Kapitalismus?
Auf der Entde­ckungs­rei­se gelangt man zu
einem leeren Gefäß, in das viele hineinrufen.
Und die Töne der Rufen­den schallen
zurück.
„Unprä­zi­ser Begriff für ein modernes
Wirtschaftssystem …“
So beginnt im „Brock­haus“ die Erklärung
unter dem Stich­wort „Kapi­ta­lis­mus“.
Es folgen zahl­rei­che Hinwei­se auf ökonomische
Denker, die mit ihrer Definition
versuch­ten, die Betrachtungsweise
zum Kapi­ta­lis­mus zu prägen.
Priva­tes Eigen­tum ist für viele eine
Grund­vor­aus­set­zung des Kapitalismus.
Darauf baute Karl Marx seine
Kritik auf und prägte maßgeb­lich die
Diskus­si­on. In den seit Ausbruch der
Wirt­schafts- und Finanz­kri­se sich formierenden,
kapitalismuskritischen
Grup­pen und Orga­ni­sa­tio­nen finden
sich bis zum heuti­gen Tage die Marxschen
Darle­gun­gen wieder.
„Occupy“ – „deutsch: beset­zen, beanspruchen“
ist das bedeutsamste
– auch im nicht englischsprachigen
Raum genutz­te – Wort für das Ziel der
Occupy-Bewe­gung. Das Gefühl der
Ohnmacht im Anblick der immensen
Kapi­tal­sum­men, die dazu zu ermächtigen
schei­nen, die gesam­te Menschheit
in den Abgrund zu stür­zen, befördert
den Wunsch nach einem Ende der bedrohlichen
Entwick­lung. Man wünscht
sich die Quelle des Irrsinns zu besetzen.
Doch wo ist diese Quelle?
Folgt man der Spur des Geldes, dann
stößt man auf Perso­nen. Superreiche,
Banker und Finanz­ak­teu­re, die mit Milliarden
jonglie­ren können und die offenbar
die Augen vor den Folgen ihres Tuns
verschlie­ßen. Der Gedan­ke, die Profiteure
des Systems der Macht zu berauben
und sie selbst zu beanspruchen,
liegt auf der Hand. Doch was wäre mit
einer solchen Aneig­nung erreicht?
Haben nicht ausge­rech­net die von Karl
Marx vorge­schla­ge­nen Lösun­gen einer
völli­gen Enteig­nung der Menschen zu
Guns­ten einer „Allge­mein­heit“ in der
Praxis hinläng­lich bewie­sen, dass trotz
alle­dem ein wesent­li­ches Element des
Wirt­schaf­tens immer weiter fröhliche
Urstän­de feiert?
Die Versu­chung ist groß: Soll ich den
unzäh­li­gen Defi­ni­tio­nen von Kapitalismus
noch eine hinzu­zu­fü­gen? Schließlich
habe ich – wie alle ande­ren – mir
auch eine eigene Vorstel­lung davon
heraus­ge­bil­det, was ich unter diesem
Begriff verste­he. Und da es ja nichts
„Präzi­ses“ und Allge­mein­gül­ti­ges gibt,
warum also nicht?
Außer Kopf­ni­cken von jenen, die meine
Auffas­sung teilen – und ihr sicher noch
einige Details hinzu­fü­gen würden – wäre
damit nicht viel gewon­nen. Ausnahme:
die Defi­ni­ti­on schaff­te es zu allgemeiner
Aner­ken­nung und ihr würde im Brockhaus
„Präzi­si­on“ attes­tiert werden.
Das ist schon sehr unwahrscheinlich.
Apro­pos Wahrscheinlichkeit:
In den Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten gibt
es keine Natur­ge­set­ze, wie in der Physik.
Spätes­tens seit der Globalisierung
scheint niemand mehr in der Lage, abgeschlossene
Räume zu defi­nie­ren, innerhalb
welcher Wirt­schaf­ten nach klaren
Regeln mit vorher­seh­ba­ren Folgen
ablau­fen kann. Sobald wir Wirtschaften,
also mitein­an­der in Bezie­hung treten
zum Zwecke eines „Ener­gie­aus­tau­sches
«, gelan­gen wir in Sphä­ren, die
der Physi­ker im Mikro­be­reich längst
als allen eindeu­ti­gen Vorher­sa­gen entzogen
bezeich­nen und nur noch von
Wahr­schein­lich­keit spre­chen würde.
Eine Tatsa­che, die den sich immer auf
der Grund­la­ge voll­stän­di­ger Kausalitätsforderungen
gewähn­ten Physikern
zu Beginn des vori­gen Jahrhunderts
fast den Verstand raubte.
Albert Einstein formu­lier­te es 1924
nach vielen Jahren des Erkenntniswachstums,
beina­he verzwei­felt klingend,
so: „Der Gedan­ke, dass ein einem
Strahl ausge­setz­tes Elek­tron aus
freiem Entschluss den Augen­blick und
die Rich­tung wählt, in der es fortspringen
will, ist mir uner­träg­lich. Wenn
schon, dann möchte ich lieber Schuster
oder Ange­stell­ter einer Spiel­bank sein
als Physiker.“[1]
Es ist deshalb nach­voll­zieh­bar, dass
wir uns heute einer unerschöpflich
schei­nen­den Zahl an Erklärungsversuchen
für die Vorgän­ge in der Wirtschaft
und am Finanz­markt gegenübersehen.
Die daran geknüpf­ten Erwar­tun­gen für
die weite­re Entwick­lung können nur mit
Hilfe des Zufalls eintref­fen. In Wahrheit
fischen alle „Exper­ten“ im Trüben. Zugeben
würde das nur keiner.
Einen Unter­schied zwischen Physikern
und Wirt­schafts­wis­sen­schaft­lern gibt
es jedoch. In der Physik will man die beobachteten
Erschei­nun­gen in der Natur
aufde­cken und ihre kausa­len Zusammenhänge
ergrün­den. Erst Beobachten,
dann Ergrün­den. Man kann sich des
1 Quelle: »Albert Einstein«, Hedwig und Max Born (1969),
S. 118. Brief von Einstein an Max Born, 29. April 1924)
Eindrucks nicht erweh­ren, dass das bei
den Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten anders
läuft, um nicht zu sagen umgekehrt.
Man verfügt über einen immer gültigen
Theo­rie-Werk­zeug­kas­ten und schaut in
der Reali­tät nach den Abläu­fen, die dazu
passen und sich damit formen lassen.
Die ande­ren blen­det man aus.
Die Neutra­li­tät des Geldes
Ein Beispiel: In der Ökono­mie wird
ausge­rech­net der essen­zi­ells­te Energieträger
nicht in seinen Eigenschaften
und Wirkun­gen erforscht. In Zeiten
des Papier­gel­des und der Bits und
Bytes verzich­tet man, offen­bar wegen
der vermeint­li­chen Energielosigkeit
des Trägers, dessen Rele­vanz hinsichtlich
der ausge­lös­ten Prozes­se zu erforschen.
So wird bis heute in den Standardwerken
der Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten die
„Neutra­li­tät des Geldes“ gelehrt. Zwar
ist die Rede von einem „Schlei­er“, den
das Geld über Trans­ak­tio­nen legt, man
misst ihm aber dennoch keine Bedeutung
in Bezug auf die realen Prozesse
der Wirt­schaft bei.
Ob ein Physi­ker anstel­le eines Ökonomen
das jemals so sähe, angesichts
der Tatsa­che, dass es im Zusammenhang
mit Geld einen Selbstvermehrungsprozess,
wie den des Zins- und
Zinses­zins­sys­tems gibt, darf stark bezweifelt
werden.
Im Rahmen der Spei­che­rung von Geld
in unter­schied­li­che „Kapi­tal­for­men“
entsteht mehr Geld, was wieder­um zu
Auswir­kun­gen in der Wirt­schaft führt.
Zum Beispiel zu realem Wachs­tum, in
Form von mehr Autos, mehr Gebäuden
und vieler­lei ande­ren mate­ri­el­len Dingen.
Versucht man die beharr­li­che Sichtweise
der Neutra­li­tät des Geldes in der
Ökono­mie zu ergrün­den, kommt man
auf aller­lei – für die Betrof­fe­nen wenig
schmei­chel­haf­te – Erklärungsversuche,
die hinsicht­lich der Motive zweifellos
speku­la­tiv sind.
Die Daseins­be­rech­ti­gung und Reputation
dieses Wissens­zwei­ges hängt maßgeblich
davon ab, wie die postulierten
Erkennt­nis­se mit der von jedermann
beob­acht­ba­ren Reali­tät in Einklang stehen.
Da erscheint es ange­sichts der im
Vergleich zur Physik mangeln­den Wissenschaftlichkeit
nur plau­si­bel, dass
sich Beob­ach­tun­gen und Erkenntnisse
zu selbst­er­fül­len­den Prophezeiungen
ausprägen.
Solan­ge die maßgeb­li­chen Wirtschaftsteilnehmer
ihr Verhal­ten, an die von federführenden
Stel­len vorgegebenen
Bedin­gun­gen anpas­sen, handeln auch
alle ande­ren danach. Die immer aufs
Neue entste­hen­den, „natür­lich unvorhersehbaren
«, Neben­wir­kun­gen werden
auf Basis des glei­chen Denkens
sogleich in das bestehen­de Denkmuster
inte­griert und sind infolgedessen
auch erklärt. So arbei­ten keine Wissenschaftler.
So arbei­ten Scharlatane.
Wozu führt das in der Reali­tät? Welche
Auswir­kun­gen hat eine solche Wissenschaft
auf wirt­schaft­li­che Abläufe?
Zunächst einmal erzeugt und verfestigt
man damit Mythen.
• Zum Beispiel den Mythos von den
Flei­ßi­gen, die ausschließ­lich durch ihrer
Hände und ihres Geis­tes Arbeit zu
Reich­tum kamen.
• Reich wird man nur dank außerordentlichem
Fleiß.
• Wer Arm ist, hat enor­men Nachholbedarf
an Streb­sam­keit und dem Aneignen
von Fähig­kei­ten, welche die Gesellschaft
– genau­er: die Wirtschaft
– von einem erwartet.
• Reich sein ist ein Beweis für großartige
Leistungsfähigkeit.
• Arm sein einer für einen Mangel an gesellschaftlicher
Anpassungsfähigkeit.
• Der „Vom-Teller­wä­scher-zum-Millio­när-
Mythos“ ist auch einer, der nur
aufrecht­zu­er­hal­ten ist, wenn dem
Geld Neutra­li­tät beigemes­sen wird.
Der Liste ließen sich unzäh­li­ge andere
Beispie­le hinzu­fü­gen. Doch, was hilft
uns das weiter, in einer Welt, in der diese
Mythen mehr Einfluss auf das tägliche
Leben ausüben, als gutgemeinte
„Gegen­ent­wür­fe“.

Ist die HUMANE WIRTSCHAFT kapitalismuskritisch? – Andreas Bangemann 0

Ist die HUMANE WIRTSCHAFT kapitalismuskritisch? – Andreas Bangemann

Wenn man die Frage bis in die Details durch­denkt, ist sie
nicht so leicht zu beant­wor­ten. Es wird behaup­tet, dass
der Mangel etwas sei, das system­be­dingt zum Kapitalismus
gehört. Ob das ein Grund ist, weshalb es an einer
allge­mein­gül­ti­gen Defi­ni­ti­on für den Termi­nus mangelt?
Bedingt durch diesen Mangel, liegt die Fest­stel­lung, ob
Kapi­ta­lis­mus­kri­tik vorliegt oder nicht, im Auge des Betrachters.
Zu dem Bemü­hen, das Beob­acht­ba­re wissenschaftlich
zu unter­su­chen und darin Gesetzmäßigkeiten
zu entde­cken, kommt erschwe­rend hinzu, dass es nur
wenige Grund­an­nah­men gibt, worauf man verlässliche
Aussa­gen aufbau­en kann. Ein Beispiel: „Die Akteu­re auf
dem Markt“ verhal­ten sich „ökono­misch“. Der daraus
entstan­de­ne, vom berühm­ten Adam Smith ins Leben gerufene
„Homo Oeco­mic­us“ wurde mitt­ler­wei­le zum Verwahrstück
in der wirt­schafts­wis­sen­schaft­li­chen Asservatenkammer.

Er taugt nicht mehr für Forschungen.
Was aus dem Fehlen der Grund­la­gen folgt, ist für die
ganze Welt fatal. Ein undurch­dring­bar komple­xes Gebilde,
namens „Markt“ erzeugt Folgen, dessen Ursachen
man nur „erra­ten“ kann. Um beson­ders bedrohlich
wirken­de Sympto­me kümmern sich Poli­ti­ker und Experten
hastig mit Maßnah­men, deren Konse­quen­zen sie
nur erhof­fen können. Was mit an Sicher­heit grenzender
Wahr­schein­lich­keit erreicht wird, sind neuar­ti­ge Auswirkungen.
„Unvor­her­seh­ba­re“ natürlich.
Mitt­ler­wei­le hegt kaum mehr jemand Zwei­fel daran,
dass mit dem Geld in der Wirt­schaft etwas nicht stimmt.
Was aller­dings die Wissen­schaft dennoch nicht dazu verleitet,
der hinter dem Geld stehen­den Syste­ma­tik auf
die Spur zu gehen. Man bleibt dabei und kümmert sich
um die Auswir­kun­gen. Markt­ver­hal­ten am Kapitalmarkt
spiel­theo­re­tisch zu analy­sie­ren, bringt den forschenden
Wissen­schaft­lern Nobel­prei­se ein.
Auf dem Gebiet der Ursa­chen­for­schung kann man keine
Blumen­töp­fe gewinnen.
Die Ökono­mie führt zu Recht die Markt­wirt­schaft als
derzeit beste und der Frei­heit Rech­nung tragen­de Wirtschaftsordnung
auf. Doch im glei­chen Atem­zug stellt man
ihr den „Kapi­ta­lis­mus“ zur Seite. Ohne Erklä­rung, ob es
sich um das Glei­che handelt oder nur eine Ergän­zung. Kapitalismus
kommt wie der unbe­kann­te und gleich­sam unsichtbare
Beglei­ter der Markt­wirt­schaft daher.
Gemein­sam garan­tie­ren die beiden, dass wir, im Rahmen
ein „paar weni­ger“ Geset­ze, aber immer noch frei,
tun und lassen können, was wir wollen. So haben wir angeblich
unser Schick­sal in der Hand. Jede Frau und jeder
Mann kann es zu etwas brin­gen, in der freien, kapitalistischen
Marktwirtschaft.
Eine große Mehr­heit der Menschen erliegt dieser Illusion
nach wie vor.
In Wahr­heit ist der unsichtbare
Beglei­ter „Kapi­ta­lis­mus“ jedoch
Designer.
Er lässt uns tun, was wir wollen,
aber uns nicht sein,
was wir doch sind.
Gefan­gen ohne Mauern
glau­ben wir zu tun,
was wir wollen.
Jedoch am Ende tun wir,
was er will.
Wir nehmen im kapi­ta­lis­ti­schen „Kunst­werk“ eine festgeschriebene
Funk­ti­on ein. Wir bemer­ken es nicht, also kümmert
es uns nicht. Wir tun was wir wollen und erfül­len dennoch
den Plan des Desi­gners. Beispiels­wei­se beim Konsumieren
immer unsin­ni­ge­rer Produk­te. Beim klaglosen
Akzep­tie­ren immer größe­rer Schä­den am Sozi­al­we­sen und
an der Natur. Die notwen­di­gen Repa­ra­tu­ren nehmen wir gar
schul­ter­klop­fend als Leis­tungs­zu­wachs zur Kenntnis.
Indem wir will­fäh­rig mithel­fen, alle Berei­che des Lebens zu
„mone­ti­sie­ren“. Im Laufe der Zeit erschlos­sen wir – im „Geheim­auf­trag
des Desi­gners“ – immer weite­re Gebie­te. Auf
der Geschäfts­idee der Betreu­ung von Kindern oder Senioren
konnte vor 30 Jahren kaum jemand eine Exis­tenz aufbauen.
Heute ist das ein boomen­der Milli­ar­den­markt, geprägt
von skan­da­lö­sen Mitarbeiter-Entlohnungsmodellen.
Glaubt jemand ernst­haft, dass wir so sind? Wenn Geld
das beherr­schen­de Ziel unse­rer Bestre­bun­gen ist, dann
wird davon alles aufge­saugt. Was sich nicht vereinnahmen
lässt, wird als minder­wer­tig an den Rand gedrückt.
Markt­wirt­schaft und Kapi­ta­lis­mus sind keine Menschen.
Sie sind menschen­ge­macht. Es liegt in unse­rer Hand, die
Unsicht­bar­keit des Kapi­ta­lis­mus zu been­den und den Vorgängen
in der Wirt­schaft den Geld­schlei­er zu entreißen.
Nur so können wir die Frage beant­wor­ten: „Wird es Zeit
für einen Abschied?“ Betrach­tet man den Kapi­ta­lis­mus als
ein unab­hän­gig von der Markt­wirt­schaft funktionierendes
System, das aber maßgeb­li­chen, zerstö­re­ri­schen Einfluss
ausübt, dann ist Kriti­sie­ren vergeu­de­te Zeit. Die Aufgabe
muss deshalb lauten: Entwick­lung völlig neuer Systeme.
Wie könnte ein Geld­sys­tem und dazu korrespondierendes
Eigen­tums­recht aussehen?
Eines, das uns in Wirk­lich­keit frei macht? Womöglich
eines, das uns die Frei­heit zu Geben bringt, verbunden
mit der Entde­ckung wie dadurch Wohl­stand in einer nie
gekann­ten Dimen­si­on entsteht.
Eines, mit dem wir sein können, was wir sind!
Herz­lich grüßt Ihr Andre­as Bangemann.